Der Archäologe der Schrift
Wer Briefe und Verträge, die in alter Schrift verfasst sind, nicht mehr lesen kann, wendet sich an Arthur Maibach aus Einigen. Er hat für die Zeit nach der Pensionierung ein neues Business aufgebaut.

Pensionierung. Endlich das tun, wofür während den Arbeitsjahren Zeit und Kraft fehlten. Ausruhen, entspannen. Nicht so bei Arthur Maibach. Seit zehn Jahren bereitet sich der 65-Jährige aus Einigen auf seine «dritte Lebensphase» vor. Wenn er am 31. Dezember 2018 die Schlüssel seines Uhrenateliers in Spiez der Nachfolgerin übergibt, ist das darum kein Auszug aus der Arbeitswelt, sondern ein Umzug.
Ein Umzug in ein Gebäude, dessen Mauern und Dach stabil stehen, der Innenausbau fehlt aber noch. Anders gesagt: Maibachs neues Geschäft läuft bereits, doch soll es florieren. Dass es das wird, davon ist er überzeugt: «Was ich mache, das kann sonst fast niemand.» Hinter dem «das» verbergt sich die Übertragung von Dokumenten, die in für heutige Menschen unlesbaren Schriften verfasst sind, in zeitgenössische Buchstaben. Eine Archäologie der Wörter.
Der Buchautor
«Ein grosser Teil meiner Kundschaft besteht aus jungen Leuten, die bei Hausräumungen alte Briefe oder Geburtsurkunden finden.» Originaldokumente lagern keine auf Maibachs Arbeitstisch; er will nicht riskieren, dass sie beschädigt werden. «Auch kopieren kommt nicht in Frage, weil Licht und Wärme dem Dokument schaden.» Darum arbeitet er mit Fotos.
Die Wurzeln von Maibachs Geschäft liegen an der Uni Bern. Dort infizierte ihn ein Nachdiplomstudium so fest mit dem Geschichts-Virus, dass er an den Fernunis Darmstadt und Hagen drei Lehrgänge anhängte: Geschichte, Literaturwissenschaft und Genealogie. Alle Diplome thronen eingerahmt auf dem Büchergestell im Wohnzimmer.Während des Geschichts-Lehrgangs übernahm Maibach das neu geschaffene Gemeindearchiv in Einigen. Dort weckten Briefe eines gewissen Hans Müller Maibachs Forschergeist. Und machten aus dem Uhrmacher einen Autor. Der Titel seines Buches: «Ein Schriftsteller zwischen Wien, Hollywood und Einigen. Hommage an Hans Müller, Einigen.»
«Um das Buch schreiben zu können, musste ich unzählige Briefe lesen, von denen ich viele nicht entziffern konnte. Also musste ich mir eben beibringen, alte Schriften zu lesen.» Entweder «knorzte» er selber stundenlang, oder er fragte Leute in Altersheimen, ob sie ihm weiterhelfen konnten. Mit jedem übersetzten Wort wurde Maibach selbständiger, entwickelte sich zum Experten auf dem Gebiet.
Acht Bücher hat Maibach nach seinem Erstling geschrieben. Alle drehen sich um herausragende Personen, die einen Bezug zu Einigen haben, für alle musste er alte Schriften entziffern. Neben den Übersetzungsaufträgen nimmt der Eigengebrauch darum viele Arbeitsstunden in Beschlag.
Der Rücksichtsvolle
«Am einfachsten fällt mir die Arbeit, wenn ein Dokument 20 Seiten oder mehr umfasst. So habe ich viele Vergleichsmöglichkeiten, weil die Wörter und Buchstaben mehrmals vorkommen.» Postkarten hingegen seien schwierig, ebenso beschädigte Dokumente: «Selten lagern die Dokumente in säurefreiem Karton, wie es angebracht wäre. Darum fehlen oft Stellen im Papier, ausgefressen von Käfern.»
Fallen ihm solche Schreiben in die Hände, macht ihn das traurig: «Unseren Nachkommen schulden wir, die Vergangenheit aufzubewahren.» Auch sein Entscheid, sein Uhrenatelier nicht über das Pensionsalter hinaus zu führen, begründet er mit dem Respekt vor jüngeren Generationen: «Würde ich im Erwerbsleben bleiben, nähme ich einer Person den Job weg, die vielleicht eine Familie versorgen muss.» Das müsse er nicht mehr. Die Tochter ist erwachsen; seine Frau und er leben von der AHV. Und vom Honorar, das Maibach für seine Transkriptionen erhält. 25 bis 55 Franken verlangt er pro Seite. Ein fairer Preis, wie er findet, denn: «Was nichts kostet, hat keinen Wert.»
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