Bürokratie verhindert Schulbesuch von Asylbewerberkindern
Das Durchgangszentrum Lyss befindet sich auf Kappeler Boden. Keine der beiden Gemeinden will die derzeit vier schulpflichtigen Asylbewerbrekinder einschulen. In zwei Wochen will der Kanton eine Lösung.

Grenzstrasse 17–21, Lyss. So lautet die Adresse des Durchgangsund Sachabgabezentrums Lyss. Doch die ehemalige Zivilschutzanlage im Industriegebiet liegt auf Kappeler Boden. Der Name Grenzstrasse markiert nicht etwa die Teilung der beiden Gemeindegebiete, sondern seit neustem asylpolitische Zuständigkeiten: Weder Lyss noch Kappelen wollen die schulpflichtigen Kinder des Durchgangszentrums in ihre Schule lassen, wie der «Bund» berichtete. Dies entgegen einer Weisung, die der Kanton diesen Sommer herausgegeben hat.
Vier betroffene Kinder
Ausgangslage der Diskussion bildet ein Vertrag, den der Kanton mit der Gemeinde Kappelen anlässlich der Eröffnung des Durchgangszentrums 1999 abgeschlossen hatte: Darin wird deklariert, dass der Gemeinde keine Infrastrukturkosten entstehen und keine Kinder eingeschult werden müssen. Nur unter diesen Bedingungen stimmte Kappelen dem Asylheim zu.
Diesen Abmachungen steht seit Juni eine gesetzliche Weisung der Erziehungsdirektion (ERZ) gegenüber: Kinder und Jugendliche aus Durchgangs- und Sachabgabezentren für Asylsuchende sind ordentlich in Regelklassen der Volksschule oder im Kindergarten einzuschulen. Grund für die Weisung der ERZ ist der Fakt, dass auch Familien mit einem Nichteintretensentscheid, die also wieder ausreisen müssen, manchmal jahrelang auf ihre Ausweisung warten. Die neue Regelung gilt ab dem Schuljahr 2009/2010.
Nun verwerfen die Vertreter beider Gemeinden die Hände. Keine will für die Einschulung der aktuell vier betroffenen Asylkinder verantwortlich sein. Zwei von ihnen sind im Kindergartenalter und sprechen perfekt Berndeutsch. Durchschnittlich leben im Zentrum sechs bis acht schulpflichtige Kinder.
«Schule ist proppenvoll»
Lyss stützt sich auf den Aspekt der Standortgemeinde: Da die Kinder ihren zivilrechtlichen Wohnsitz in Kappelen hätten, müssten sie auch dort eingeschult werden, sagte Heinz Lüthi, Leiter der Lysser Sozialdienste, gegenüber dem «Bund».
Kappelen hält am Vertrag fest. Die Schulen seien mit rund 120 Kindern proppenvoll, sagt Kappelens Gemeindepräsident Ulrich Hofmann (parteilos). «Wenn vom Zentrum noch mehr Kinder dazukommen, haben wir schlicht keine Kapazität mehr», sagt Hofmann. Zudem finde er es für die Kinder nicht förderlich, sie nur für kurze Zeit in der Schule zu integrieren. «Die finden schnell Gspändli. Dann ist es um so härter, wenn sie wieder abreisen müssen.»
Das ist ein Argument, das für Philipp Rentsch, Geschäftsleiter des Vereins Asyl Biel und Region (ABR), nicht zählt. Im Asylheim Lyss sind derzeit sowohl Asylsuchende im hängigen Verfahren als auch die rechtskräftig Abgewiesenen einquartiert. «Man weiss also nicht, wer wie lange in der Schweiz bleiben darf», sagt Rentsch. Das ABR bewirtschaftet im Auftrag des Kantons 12 Durchgangszentren der Region Biel. Rentsch ist froh, dass nun eine kantonale Grundlage existiert. «Da es sich derzeit in Kappelen nur um vier Kinder handelt, haben wir auch Zeit, eine gute Lösung zu suchen.»
Kanton macht Druck
Erziehungsdirektor Bernhard Pulver (GFL) will nicht mehr lange zuwarten. Nachdem ein erstes Treffen der Gemeindevertreter, der ERZ und der Polizei- und Militärdirektion keine grossen Früchte getragen hat, will Pulver nun etwas Druck machen. «In den nächsten zwei Wochen will ich eine Lösung auf dem Tisch», sagt der Regierungsrat.
Das könne vieles bedeuten, zum Beispiel dass die Kinder ausserhalb des normalen Schulbetriebs oder in einer anderen Gemeinde unterrichtet würden. Pulver hofft auf Kappelens Kooperation: «Ich will die Gemeinde ja nicht vor den Kopf stossen und nach 10 Jahren alles ändern.» Schliesslich sei er auch dankbar, dass sie sich als Standort zur Verfügung gestellt hätte. Allzu stur darf sich Kappelen jedoch nicht mehr zeigen. «Das Gesetz geht über den Vertrag», sagt Pulver. «Wenn wir nicht eine angemessene Lösung finden, müssen wir notfalls eine verordnen.» Schliesslich gehe es hier um die Kinder. Der Fall Kappelen sei einzigartig. In allen anderen Durchgangszentren sei die Schulbildung gewährleistet und in keiner anderen Standortgemeinde ein vergleichbarer Vertrag vorhanden.
Das Thema macht betroffen. So hat die Juso Bern in einer Medienmitteilung die «Verwehrung eines Menschenrechts» scharf verurteilt und startet auf Facebook einen Lehreraufruf.
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