Medienkonferenz Bühnen BernWar es nicht naiv, an dieser Person festzuhalten?
Nach wochenlanger Zurückhaltung brechen Bühnen Bern heute das Schweigen über die Entlassung des Probenleiters Tanz. Wir berichteten live.
Die sexuellen Grenzüberschreitungen, die sich ein Probenleiter am Berner Ballett zu schulden kommen liess, fanden an Premierenpartys statt. Betroffen ist eine Mitarbeitende des Berner Balletts. Der Mann wurde Anfang Monat fristlos entlassen.
Der Probenleiter war zuvor bereits wegen verbalen sexuellen Übergriffen von Bühnen Bern verwarnt worden. Im September wurden neue Vorwürfe laut.
Bühnen Bern klärte die neue Vorwürfe ab. Dabei wurden sowohl gegenwärtige wie aktuelle Mitarbeitende befragt. Bei den Befragungen berichtete eine Mitarbeitende von übergriffigem Verhalten. Diese habe sich ausserhalb des Proben- und Aufführungsbetriebs ereignet.
Diese Grenzverletzungen wurden von zwei weiteren Mitarbeitenden beobachtet und bestätigt, wie die mit der Untersuchung beauftragte Rechtsanwältin Monika Hirzel vor den Medien in Bern sagte. Der Mann wurde daraufhin fristlos entlassen.
Solidarität des Ensembles
Das Tanzensemble von Bühnen Bern hat seine Solidarität mit den Betroffenen signalisiert. Die Tanzenden hoffen, dass das Geschehen zu einem dauerhaften Kulturwandel in der Szene beiträgt.
Diskriminierung und Belästigungen seien in der internationalen Tanzszene ein wiederkehrendes Problem, heisst es in einer Stellungnahme der Berner Tanzcompagnie. Wie sehr jemand auch für seine Arbeit respektiert und applaudiert werde, solches Fehlverhalten dürfe nicht toleriert werden.
Die Tanzenden ermutigten ihre Kolleginnen und Kollegen überall auf der Welt, Grenzüberschreitungen offen anzusprechen und zu melden. Niemand stehe alleine da. Nur gemeinsam könne man auf eine Kultur des gegenseitigen Respekts und des Vertrauens hinarbeiten.
(sda)
Bühnen Bern verabschiedet sich.
Frage: In der ersten Untersuchung wurden die Vorwürfe der sexualisierten Sprache, der sexuellen Belästigung und des unangebrachten Rollenverständnisses erhärtet. Was hätte es gebraucht, dass Bühnen Bern schärfer sanktioniert? War es nicht naiv, an dieser Person festzuhalten?
Monika Hirzel: Im arbeitsrechtlichen Kontext müssen Vorwürfe in einem rechtlichen Rahmen untersucht werden. Es geht nicht um Moral und Wertvorstellungen, die Massnahmen müssen adäquat zum Verhalten sein. Eine Kündigung ist nicht immer adäquat.
Nadine Borter: Es gab die Handlungsempfehlung, die Bühnen Bern als adäquat eingeschätzt hat. Man hat also bejaht, dass der Probenleiter eine zweite Chance erhalten soll. Es gab Massnahmen, die auch begleitet wurden. Bühnen Bern stehe weiterhin hinter den Massnahmen von damals. Auch rückwirkend.
Florian Scholz: Aufgrund des Artikels in der «Zeit» glaubten alle Lesenden zu wissen, wie sie gehandelt hätten. Das Magazin habe aber gewisse Inhalte aus dem 60-seitigen Untersuchungsbericht herausgepflückt. Laut Bühnen Bern habe der Bericht aufgezeigt, dass es vertretbar sei, dem Probenleiter eine zweite Chance zu geben.
Frage: Es wurde viel kritisiert, dass Bühnen Bern mauern und nicht kommunizieren. Was hält Bühnen Bern vom eigenen Verhalten?
Florian Scholz: Seit die Informationen in der Öffentlichkeit seien, arbeite er jeden Tag 16 Stunden. Er habe alles abgesagt und sich nur dieser Aufgabe gewidmet. Es erstaune ihn, dass ihm vorgeworfen werde, nicht hinzustehen. Er konnte letzte Woche nicht zu einer Presskonferenz einladen, weil Bühnen Bern nicht alle Elemente für eine allumfassende und transparente Information zusammen hatten. Bühnen Bern sei nicht auf Tauchstation gewesen.
Frage: Am 5. November ist die erste Premiere von Bern Ballett. Was passiert jetzt? Wer kommt als neuer Probenleiter? Wird bei der Rekrutierung künftig genauer aufgepasst?
Isabelle Bischof: Bühnen Bern habe umgehend reagiert und zwei der Compagnie vertraute Probenleiter einstellen können, die den weitergehenden Prozess der Premiere und darüber hinaus begleiten. Die Stelle des Probenleiters wird ausgeschrieben. Und es wird künftig bei der Rekrutierung definitiv ein besonders Augenmerk darauf gelegt, ob es zu Fehlverhalten in der Vergangenheit gekommen ist.
Frage: In der heutigen Compagnie ist die Hälfte der Mitglieder neu. Sie wussten durch die fehlende Information nicht, was für mögliche Gefahren in der Tanzsparte existieren. War es wirklich richtig, die Öffentlichkeit – darunter auch die neuen Tänzerinnen – nicht zu informieren?
Florian Scholz: Der Probeleiter war schon im Frühjahr 2021 während vier Monaten von seiner Aufgabe freigestellt. Es sei aber unmöglich, jemanden wieder in einen Betrieb einzugliedern, wenn man ihm gleichzeitig ein Etikett anklebt. Da man dem Probenleiter zutraute, eine zweite Chance gut zu bewältigen, hat man nicht gleichzeitig alle anderen im Unternehmen informiert.
Isabelle Bischof: Alle neu eintretenden Tänzerinnen und Tänzer werden über den Verhaltenskodex informiert und zum Thema generell sensibilisiert.
Frage: Hätte man dem Probenleiter nach der ersten Untersuchung kündigen sollen?
Nadine Borter: Nein. Es wäre nicht adäquat gewesen.
Florian Scholz: Es gab vorher keine Verfehlungen, die Tanzcompagnie hat dem Probenleiter das Vertrauen ausgesprochen, die Untersuchung war intensiv und die Probezeit hat er überstanden. Eine fristlose Kündigung wäre arbeitsrechtlich nicht möglich gewesen.
Es wurde vom externen Unternehmen BeTrieb empfohlen, dem Probenleiter mindestens eine Verwarnung auszusprechen. Was war die maximale Handlungsanweisung? Warum versteckt sich Bühnen Bern hinter der Handlungsanweisung von BeTrieb und übernimmt nicht selber Verantwortung?
Monika Hirzel: Arbeitgeber müssen das ganze Arbeitsverhältnis anschauen. Es liegt in der Beurteilung des Arbeitgebers, dieses mit einzubeziehen und zu schauen, ob es weitere Probleme gibt, die nicht mit der Untersuchung in einem Zusammenhang stehen.
Frage: Im Rahmen der Untersuchung habe Tanzchefin Isabelle Bischof mit Betroffenen gesprochen. Weshalb hatten sie sich nicht Bühnen Bern anvertraut? Warum war die Hemmschwelle so hoch?
Florian Scholz: Die Compagnie insgesamt hat in einem einzigen Fall eine Rückmeldung gegeben. Das war in einem arbeitsbezogenen Zusammenhang, nicht direkt bei der Arbeit.
Isabelle Bischof: Das sei persönlich, sie möchte nicht darauf eingehen.
Frage: Wieso wurde dem Probenleiter beim ersten Mal nicht gekündigt?
Monika Hirzel von BeTrieb: Weil es nicht immer angebracht sei, einer Person zu kündigen. Es gebe eine breite Palette an Massnahmen, die bei sexueller Belästigung möglich sind. Damals habe es nicht gereicht für die Kündigung.
Frage: Fürchtet sich Bühnen Bern vor finanziellen Folgen?
Nadine Borter: Nein. Bühnen Bern habe einen Leistungsauftrag, um Kunst zu machen. Gleichzeitig seien sie verpflichtet, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem sich alle sicher fühlen. Dort sehe sie keine Korrelation.
Frage: War es rückblickend in Ordnung, die Öffentlichkeit nicht zu informieren?
Nadine Borter: Es gebe einen Persönlichkeitsschutz der Betroffenen. In diesem Falle haben man zum Schutz aller Mitarbeitenden entschieden, den Fall nicht öffentlich zu kommunizieren. Das sei auch aus heutiger Sicht richtig gewesen.
Zeit für Fragen der anwesenden Journalistinnen und Journalisten.
Stiftungsratspräsidentin Nadine Borter erklärt, warum die Finanzierungsträger nicht informiert wurden – Bühnen Bern sei überzeugt gewesen, die Causa mit Einbezug des externen Unternehmens BeTrieb selbst regeln zu können. Rückblickend sei das ein Fehler gewesen, räumt sie ein. Der Austausch müsse verbessert werden, und künftig erarbeitete Präventionsmassnahmen würden mit den Finanzierungsträgern (darunter der Stadt Bern) abgesprochen. Es brauche einen längerfristigen Prozess.
Florian Scholz sagt, mit der Entlassung sei die Sache nicht beendet. Die präventiven Massnahmen seien nicht ausreichend gewesen. Hier müsse sofort gehandelt werden, damit es nie mehr einen solchen Vorfall gebe. Neben der umfassenden Aufarbeitung des Falls würden alle Aspekte der Betriebskultur überarbeitet. Die Handlungs- und Beratungskompetenz in Sachen Prävention solle auf allen Ebenen verstärkt werden. Zusätzlich zieht Bühnen Bern einen externen Coach sowie eine Supervision bei.
Der Kampf gegen übergriffiges Verhalten müsse nun starten. Man werde bei Bühnen Bern Instrumente einführen und das Vertrauen stärken, damit man füreinander Verantwortung tragen könne.
Isabelle Bischof, Direktorin Bern Ballett: Sie habe nach der ersten Untersuchung persönliche Gespräche mit allen Tänzerinnen und Tänzern geführt, niemand hatte damals von erneuten Vorwürfen gesprochen. Ein Wiederholungsfall mit Kündigung des Arbeitsverhältnisses sei nicht während der Probezeit vorgekommen. Erst seit des «aufwühlenden» Berichtes der «Zeit» seien neuen Anschuldigungen als Licht gekommen, die Bischof nicht bekannt waren. Sie hätten sofort mit allen im geschützten Rahmen Gespräche geführt. Alle Tänzerinnen hätten sich sicher und geschützt gefühlt bei Bühnen Bern, hingegen sei es an einer Premierenfeier zu übergriffigem Verhalten gekommen. Bischof sei traurig, enttäuscht.
Nachdem im September in der Presse neue Vorwürfe publiziert worden waren, wurden Tänzerinnen und Tänzer nun erneut befragt. Herausgestellt hat sich, dass eine Person von grenzüberschreitendem Verhalten berichtet hat. Zwei weitere hätten das Verhalten beobachtet und konnten es als Zeugen bestätigen. Daraufhin wurde dem Probenleiter gekündigt.
Rechtsanwältin Monika Hirzel der Firma BeTrieb informiert zu den zwei Untersuchungen, die aufgrund der Vorwürfe gegen den Probenleiter durchgeführt wurden. Bei der ersten Untersuchung klärten sie Vorwürfe der sexuellen Belästigung durch den Probenleiter ab, sie befragten 15 Personen. Das Fazit der damaligen Untersuchung war, dass es zu verbaler sexueller Belästigung gekommen sei. Auch ein inadäquates Rollenverständnis in Leitungsfunktion und eine sexuelle Wortwahl wurden beanstandet. Dabei gab es auch konkrete Handlungsanweisungen.
Laut Intendant Florian Scholz informiert Bühnen Bern erst heute, weil zuerst alle Befragungen durchgeführt werden mussten. Sie hätten erst durch die Berichterstattung in der Wochenzeitung «Die Zeit» erfahren, dass es wieder übergriffiges Verhalten durch den Probenleiter gegeben habe, was Bühnen Bern bestürzt habe und augenblicklich abgeklärt worden sei.
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