Kritik an ImpfstrategieBriten müssen lange auf die zweite Spritze warten
In Grossbritannien wird ab Montag die Frist zwischen zwei Impfdosen auf zwölf Wochen gestreckt. Viele Ärzte halten das für problematisch. Aber die Regierung glaubt, sie habe keine andere Wahl.

Im Vereinigten Königreich hat eine radikale Kursänderung bei den Anti-Corona-Impfungen heftigen Streit hervorgerufen. Nach der ersten Spritze müssen die Briten nun zwölf Wochen auf die zweite Dosis warten. Bisher rechnete man mit drei oder vier Wochen zwischen den beiden Injektionen. Mit dieser Massnahme hofft die Regierung mehr Personen einen gewissen Schutz vor dem Virus und dessen auf der Insel grassierender neuer Variante zu verschaffen.
Ungewiss bleibt dabei, ob eine Erstimpfung zum Beispiel mit dem Biontech/Pfizer-Impfstoff nach Ablauf von drei Wochen weiter ausreichenden Schutz gewährt und ob der Aufschub der zweiten Dosis die Wirkung der Impfung generell reduziert. Dieses Risiko will die Leitung des Nationalen Gesundheitswesens (NHS) im Einvernehmen mit der Regierung eingehen, um in möglichst kurzer Zeit so vielen Bürgern wie möglich einen ersten Schutz bieten zu können.
Infektionen steigen pro Woche um ein Drittel
Zurzeit nimmt die Zahl der Infektionen wöchentlich um ein Drittel zu. Diese Woche wird ein Anstieg der Zahl der täglichen Todesfälle auf über tausend erwartet. Der britische Premier Boris Johnson hat seine Landsleute auf noch striktere Massnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vorbereitet. Darunter könne auch eine Schliessung der Schulen sein, wie sie im März 2020 bei der ersten Welle gegolten habe, sagte der Regierungschef am Sonntag der BBC.
Zahlreiche Spitäler haben seit Neujahr gemeldet, dass sie mit der Entwicklung nicht mehr Schritt halten könnten. Patienten werden in Hunderte von Kilometern entfernte Kliniken verlegt. Noch im Mai vorigen Jahres hiess es, bis September werde man über 30 Millionen Dosen des heimischen Astra-Zeneca-Impfstoffs verfügen. Im November war noch von vier Millionen Dosen bis Jahresende die Rede. Wenn die Astra-Zeneca-Impfungen am Montag endlich beginnen, steht eine erste Lieferung von 530’000 Dosen bereit. (Auch in der Schweiz laufen die Impfungen nicht wie geplant.)
Fauci distanziert sich von britischer Impfstrategie
Vom Pfizer-Impfstoff, der vor vier Wochen genehmigt wurde, sind nach Regierungsangaben bisher immerhin eine Million Dosen gespritzt worden. Vom Plan, zwei Millionen Dosen pro Woche auszugeben, ist man weit entfernt. Nunmehr müssen Ärzte allen Geimpften, die auf ihre zweite Dosis warten, mitteilen, dass sich dieser zweite Impfgang erheblich verzögert.
«Mehr Leute mit möglicherweise geringerem Effekt zu impfen, ist doch besser, als vollen Effekt zu erzielen bei der Hälfte derer, die gefährdet sind.»
Anthony Fauci, der führende US-Experte, hat sich von der britischen Strategie distanziert. In Grossbritannien selbst sind die Meinungen über den Kurswechsel geteilt. Martin Hibbard von der Londoner Hochschule für Hygiene und Tropenmedizin meinte, es sei «äusserst frustrierend», dass das «hohe Niveau der Impfstoffforschung» nun schlicht ignoriert werde: «Wir wissen nicht, welche Wirkung der Impfstoff haben wird bei einer längeren Frist zwischen den beiden Dosen und wie viel Schutz eine einzelne Injektion über einen längeren Zeitraum hinweg gewährt.» Stephen Evans, Hibbards Kollege von der gleichen Hochschule, ist gegenteiliger Ansicht: «Mehr Leute mit möglicherweise geringerem Effekt zu impfen, ist doch besser, als vollen Effekt zu erzielen bei der Hälfte derer, die gefährdet sind.»
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