Bonvivant
Von Ruhe und Ruhelosigkeit.
Freitagnachmittag. Der Feierabend war gerade noch so weit weg, dass ich ins Fäustchen lachen musste, weil ich so unverschämt sorglos in diesem eleganten Fumoir sitzen konnte, während andere noch rennen, rennen, rennen mussten. Ich hielt mich für einen Müssiggänger par excellence, ja einen Bonvivant, der weiss, was gut ist.
Bis ich ihn sah. Er sass in der Ecke, sehr aufgeräumt, sehr aufrecht auf einem dieser Sessel. Vor ihm auf dem Tisch stand ein Glas Rotwein, schwer und schimmernd. Der Mann war schmächtig, trug eine dunkle Bügelfaltenhose, dazu einen grauen Pullunder mit V-Ausschnitt. Der weisse Hemdkragen leuchtete im Halbdunkel. Die Haare hatte er streng nach hinten gekämmt. Ich schätzte ihn auf 58.
Er sass also da. Und ich, auch ich sass da in diesem Fauteuil, vor mir die Zeitung, Zigaretten, eine Kanne Tee, der riesige Aschenbecher und das Smartphone. Während ich also so dasass, auf dem Smartphone den Posteingang checkte, ein paar E-Mails schrieb, meinen Kalender konsultierte, Whatsapp-Nachrichten verschickte, auf Newsportalen herumwischte, Zigaretten rauchte, Tee trank, Fremdwörter googelte, Wikipedia-Artikel überflog und sogar ein kurzes Telefonat führte, ja, da sass er einfach nur da, wie ein Fels. Sass da, griff ab und zu nach seinem Glas, führte es langsam zu seinen ledrigen Lippen und setzte es behutsam wieder ab.
Das gab mir zu denken. Ich begann meine Ruhelosigkeit zu verabscheuen, meine Sucht nach ständiger Ablenkung. Ich fühlte mich so gar nicht mehr wie ein in sich ruhender Lebemann. Ich dachte, dass ich noch viel zu lernen habe.
Dann öffnete sich die Türe, und eine Frau betrat den Raum, deren Arme den Umfang meiner Oberschenkel hatten. Ihr blaues Kleid war, mit Verlaub, ein Zelt. Sie stapfte Richtung Ecke. Dort gab sie dem Mann einen Schmatzer auf die Wange, bevor sie sich in den Sessel fallen liess.
Und während sie auf ihn einredete, sah ich, wie er langsam hinter sich in sein Veston griff und sein Smartphone hervorholte. Bis ich ging, liess er nicht mehr von dem Bildschirm.
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