Bloss nach Hause – wenn nötig mit dem Privatjet
Schweizer Touristen wollen aus dem Ausland heimkehren. Das ist schwierig. Reisende berichten von dramatischen Situationen an Flughäfen.

Der Aufruf klang nach einer Selbstverständlichkeit. «Wir empfehlen allen Schweizerinnen und Schweizer, die im Ausland in den Ferien sind, in die Schweiz zurückzukehren», sagte Justizministerin Karin Keller-Sutter an der Lockdown-Medienkonferenz vom Montag. Doch in Zeiten wie diesen verkommen Heimreisen zu einem Kraftakt. Touristen haben Odysseen hinter sich. Wie der Zürcher Fotograf Philipp Rohner. Ihn erreichte auf dem berühmten Machu Picchu die Nachricht: «Flughafen in Lima schliesst in 24 Stunden.» Rohner musste sich rasch entscheiden: Sollte er in Peru bleiben und seine Reportagearbeit beenden oder versuchen, auf einen der bereits hoffnungslos überbuchten Flüge zu gelangen?
«Ich verliess das Land praktisch mit dem letzten Flugzeug», erzählt er. Via Toronto schaffte er es in einem 48-Stunden-Nonstop-Trip nach Zürich. In seiner Heimat fragt er sich jetzt: «Ist es in der Schweiz wirklich besser als im vom Corona vergleichsweise verschonten Peru?»

Für ein Westschweizer Ehepaar endete eine Karibik-Kreuzfahrtin einem italienischen Ambulanzflugzeug. Kurz nach der Abfahrt in Guadeloupe wurde bei einem Passagier und einem Crewmitglied das Coronavirus diagnostiziert. Keine der Trauminseln liess das Schiff mehr anlegen. An Bord kam es zu Schlägereien. Der Kapitän blieb ein Phantom. Schliesslich durften die Passagiere, selbst kranke, in Guadeloupe von Bord. Von da wurden die Romands im Spitaljet nach Paris ausgeflogen. Am Montag erreichten sie Basel-Mühlhausen – vom Karibiktrip völlig ausgelaugt.
Chaos am Check-in-Schalter
Derweil sitzen noch immer Tausende irgendwo auf der Welt fest. In Südamerika, sagen Branchenkenner, sei es zurzeit sehr kompliziert. Dasselbe gilt für Marokko, das in den letzten Jahren auch wegen der Schweizer zur boomenden Tourismusdestination geworden ist. Am Flughafen Marrakesch, der ebenfalls seine Schliessung ankündigte, halten sich Hunderte Schweizer auf. Sie erlebten chaotische Szenen.
Aufgebrachte Passagiere begannen beim Check-in zu rebellieren und forderten lautstark ihre Rückkehr. Dies beobachtete M. B. Der Basler war mit zehn Kollegen im Atlas auf einer Velotour. Am Flughafen waren sie nur kurz. «Als wir das Chaos sahen, sind wir gleich wieder zurück in die Stadt und haben uns dort ein Hotel gesucht», sagt er.
«Diese Krisensituation ist dramatisch und beispiellos.»
Seither versuchen sie per Telefon und Freunden in der Schweiz die Heimreise zu organisieren, irgendwie. Auf einer Fähre über Spanien in die Schweiz zu gelangen, ist mittlerweile unmöglich. Während sie zusehen mussten, wie Leidensgenossen aus Holland oder Österreich ausgeflogen wurden, blieben sie im marokkanischen Hotel. Von den Schweizer Behörden hörten sie nichts mehr.
Nach draussen seien sie kaum mehr gegangen, erzählt M. B. «Alle Läden und Cafés sind zu, die Stimmung ist sehr seltsam.» Jugendliche riefen ihnen «Corona, Corona» nach. «Wir wollen einfach nur noch nach Hause!», sagte M. B. am Dienstag. Mit der Hilfe ihres marokkanischen Guides vermochte seine Gruppe einen Privatjet zu chartern. Die Maschine gehört einem chinesischen Geschäftsmann. Aber für 42'000 Franken machte er einen Umweg. Die Kosten: 4000 Franken pro Person, One-Way.
Die Vollkasko-Mentalität der Schweizer
Der Drang zur Rückkehr ist gross, die Ideen kreativ. Manche versuchen, die Rega zu aktivieren, und reden ihre Angehörigen krank. Andere wenden sich ans Departement für auswärtige Angelegenenheiten, das mit Hilferufen eingedeckt wird. Das EDA weiss um die Vollkasko-Mentalität der Schweizer, doch kann die hohen Erwartungen kaum erfüllen. «Jede Person trägt die Verantwortung bei der Vorbereitung und Durchführung eines Auslandaufenthaltes oder bei der Ausübung einer Tätigkeit im Ausland», heisst es in Artikel 5 des Auslandschweizergesetzes.
Daran erinnerte an der gestrigen Medienkonferenz der Bundesbehörden auch Hans-Peter Lenz, Leiter des EDA-Krisenmanagementzentrums. Lenz sprach auch über Marokko. Er berichtete von Hunderten gestrandeter Schweizer und Charterflugzeugen, die die Leute wegen fehlender Fluggenehmigungen nicht nach Hause bringen konnten. EDA-Diplomaten intervenierten und deblockierten die Situation.
Am Dienstag sollten fünf Flugzeuge die Schweizer nach Hause bringen. Für die Betroffenen ein Glücksfall. In anderen Fällen gewähren Konsulate oder Botschaften im besten Fall ein wenig Geld für ein Rückflugticket, das der Empfänger selbst organisieren und dem EDA in der Schweiz zurückzahlen muss. Das Aussendepartement will im Krisenfall nicht zum Reisebüro mutieren.

Erste Anlaufstelle bleiben die Airlines wie Swiss oder Edelweiss und die Reiseveranstalter. Das Pauschalreisegesetz verpflichtet Letztere, organisatorisch zu helfen. Die Reisebüros sind derzeit ausschliesslich mit Stornierungen und Umbuchungen beschäftigt.
Das bedeutet: kein Umsatz, gar negativer, aber enorm viel Arbeit. Walter Kunz vom Schweizer Reise-Verband sagt: «Eigentlich kennen wir uns mit Krisensituationen wie 9/11 oder Tsunami aus. Aber das hier ist wirklich dramatisch und beispiellos für die ganze Branche.»
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