Die USA, Israel und der Nahe Osten Blinken kommt in einem «sehr schwierigen Moment»
Kurz nach dem Anschlag, bei dem in Ostjerusalem sieben Menschen starben, mahnt US-Aussenminister Blinken in Israel, Rache sei nicht die Antwort. Sein Besuch in der Konfliktregion ist eine diplomatische Gratwanderung.

Wenn amerikanische Spitzenpolitiker den Nahen Osten besuchen, dann wird es häufig kompliziert. Antony Blinken hat nun einen besonders heiklen Moment erwischt. Nach einem Zwischenstopp in Ägypten ging es am Montag weiter, der US-Aussenminister besucht Israel und das Westjordanland. Er tut das nach einer Woche, die auch die Regierung in Washington alarmiert und eine Region wieder ins Zentrum rückt, die zuletzt nicht ganz oben auf der Agenda zu stehen schien.
Das ändert sich gerade wieder. Es stehe ausser Frage, «dass dies ein sehr schwieriger Moment ist», sagte Blinken in Kairo, ehe er nach Jerusalem weiterreiste. «Wir werden die Parteien auffordern, Schritte zur Beruhigung der Lage und zur Deeskalation der Spannungen zu unternehmen.» Seiner Mission gehen blutige Tage voraus.
Am Donnerstag wurden bei der israelischen Razzia in einem Flüchtlingslager im besetzten Westjordanland zehn Palästinenser getötet. Am Freitag erschoss ein palästinensischer Schütze vor einer Synagoge in Ostjerusalem sieben Menschen und verletzte drei Israelis, es war der mörderischste Anschlag in Israel seit 2008. Am Samstag verletzte ein 13 Jahre alter Bub aus Palästina mit Schüssen zwei Israelis.
«Vergeltungsschläge gegen Zivilisten sind niemals gerechtfertigt.»
Dies sei «ein neuer und erschreckender Anstieg der Gewalt», sagte Blinken und sprach den Opfern nach seiner Ankunft in Jerusalem sein Mitgefühl aus. Der Angriff vor einer Synagoge sei «besonders schockierend», aber die Rufe nach Rache seien keine Antwort und Vergeltungsschläge gegen Zivilisten nie gerechtfertigt. Man wolle «dringende Schritte unternehmen, um die Ruhe wiederherzustellen und die Situation zu deeskalieren», erklärte er nach der Begegnung mit Israels Premier Benjamin Netanjahu. Das Ziel sei, «dass Palästinenser und Israelis in Zukunft in gleichem Masse Freiheit, Sicherheit, Gerechtigkeit und Würde geniessen können». Dafür sei die Zweistaatenlösung nach wie vor beste Weg.
Unter diesen Umständen traf der Chefdiplomat aus dem State Department also Israels Premier Benjamin Netanyahu und trifft heute Mahmoud Abbas, den Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde. Vorausgeeilt waren ihm der Nationale US-Sicherheitsberater Jake Sullivan und CIA-Direktor William Burns, was ebenfalls illustriert, wie ernst das Weisse Haus die Lage grundsätzlich nimmt.
Bereits mit Obama war Netanyahu aneinandergeraten
Die USA betonen stets die Freundschaft zu ihrem engen Verbündeten Israel, unabhängig von den jeweils Regierenden. Aber mit Netanyahu war bereits Barack Obama aneinandergeraten, wegen der palästinensischen Gebiete, des Iran und anderer Meinungsverschiedenheiten. Donald Trump verstand sich mit dem Hardliner aus Jerusalem deutlich besser. Für die US-Demokraten ist Netanyahu ein Vertrauter der Republikaner, und sie waren grundsätzlich froh, als nach Trump auch Netanyahu sein Amt verlor.
Jetzt ist er wieder da, und zwar mit dem radikalsten Kabinett, an das man sich erinnern kann. Die USA sorgen sich grundsätzlich darum, dass es in dieser Besetzung erst recht schwierig werden dürfte, den Konflikt zwischen Israel und Palästina nachhaltig zu entspannen. Die Administration von Joe Biden hält Netanyahus Unterstützung einer noch stärkeren israelischen Kontrolle des Westjordanlandes für ebenso bedenklich wie seinen Versuch, Israels Justiz zu gängeln.
Die grösste Herausforderung, seit Begin Premier wurde
Das alles macht diesen Termin zu einer diplomatischen Gratwanderung. Dies sei wahrscheinlich «die grösste politische Herausforderung für die Beziehungen zwischen den USA und Israel, seit Menachem Begin 1977 Premierminister wurde», zitiert die «New York Times» Jeremy Ben-Ami, früher Berater von Bill Clinton und nun Präsident von J Street, einer liberalen US-israelischen Lobbyorganisation.
Gleichzeitig geht es ja um handfeste gemeinsame Sicherheitsinteressen. Die USA helfen dabei, Verbindungen zwischen Israel und arabischen Staaten herzustellen und das Nuklearprogramm des Iran zu stoppen. Der amerikanische Versuch, das Atomprogramm von 2015 wiederzubeleben, ist vorläufig gescheitert. Derweil schickt Teheran Russland Drohnen für die Angriffe auf die Ukraine, während Washington und die westliche Allianz die ukrainische Armee massiv mit Waffen unterstützen.
Angeblich steuerte der Mossad die Drohnen nach Isfahan
In diesem Zusammenhang war es vermutlich kein Zufall, dass vor Blinkens Ankunft am Wochenende eine Drohne eine iranische Militäreinrichtung in Isfahan getroffen hatte. Laut US-Medien mit Zugang zu Geheimdienstkreisen handelte sich um ein Manöver der israelischen Kollegen des Mossad.
Blinken mochte am Montag zunächst nicht ins Detail gehen, was die Gewalt in Israel und dem Westjordanland betrifft. Er wolle erst mit israelischen und palästinensischen Vertretern reden, hiess es. «Sie werden eine Art Diskussion bekommen, die sich auf israelischer Seite mehr auf den Iran und auf amerikanischer Seite mehr auf die Palästinenser konzentriert», meint im «Wall Street Journal» Dennis Ross, einst ein Berater mehrerer US-Präsidenten und jetzt im Thinktank des Washington-Instituts für Nahostpolitik tätig.
Bei der Begegnung mit Palästinenserchef Abbas werde Blinken nachher US-Bemühungen für eine Zweistaatenlösung, die palästinensische Wirtschaft und die weitere Stärkung der Beziehungen zwischen Amerikanern und Palästinensern erörtern, so Barbara Leaf, stellvertretende Staatssekretärin für Nahost-Angelegenheiten. Ein Drahtseilakt. Bei der Jahreskonferenz von J Street im Dezember hatte Blinken «eisernes Engagement» der USA für Israel betont, «ein Engagement, das noch nie so stark war wie heute».
Alles klar, Amerika? – der USA-Podcast von Tamedia
Den Podcast können Sie auf Spotify, Apple Podcasts oder Google Podcasts abonnieren. Falls Sie eine andere Podcast-App nutzen, suchen Sie einfach nach «Alles klar, Amerika?».
Fehler gefunden?Jetzt melden.