Bis sich die Zunge auflöst
Der Brite Ross Edgley umschwimmt Grossbritannien in fünf Monaten – trotz Quallen, Qualen und Langeweile.
Als Ross Edgley kleine Stücke seiner Zunge auf seinem Kissen erspähte, fragte er sich schon: «Ross, muss das wirklich sein?» Anfang Juni war der Brite in Margate im Südosten von Grossbritannien ins Wasser geglitten. Rund um die Insel wollte der Kraftwürfel schwimmen, der zu seiner Figur sagt: «Ich habe den Körper eines Hobbits.» Gedrungen ist der Brite also, 1,73 m gross, muskelbepackte 93 kg schwer sowie erprobt in unsinnig-erstaunlichen Leistungen. Er schleppte einst einen Mini Cooper – also das 1000 kg schwere Auto – über 42,195 km und brauchte dafür 19 Stunden.
Edgley absolvierte einen Triathlon mit einem 45 kg schweren Baumstamm auf dem Rücken.«Tree-athlon» nannte er den sonderbaren Spass über 1,5 km Schwimmen, 40 km Radfahren und 10 km Laufen – oder kletterte an einem Seil so viele Male hoch, bis er quasi den Mount Everest mit seinen 8848 m «bestiegen» hatte – in rund 12 Stunden.
Jetzt ist er als erster Mensch der Welt einmal um Grossbritannien herum geschwommen. Am Sonntag kam er nach fünf Monaten auf hoher See in Margate im Südosten Englands an, wie sein Sponsor Red Bull mitteilte. Für die 2882 Kilometer lange Strecke brauchte der 33-Jährige demnach 157 Tage. Erschwert wurde das Abenteuer durch eisiges Wasser, starke Strömungen, Unwetter und Begegnungen mit Frachtern, Haien und Quallen.
Edgley startete am 1. Juni in Margate und schwamm im Uhrzeigersinn einmal um das britische Festland herum. «So viele Leute haben mir gesagt, dass es nicht zu schaffen ist», sagte Edgley, als er wieder in der Hafenstadt ankam.
Mann auf einer Mission
Als der Sportsonderling vernahm, dass zwar schon Ruderer, Läufer und Radfahrer rund um die Insel gekommen waren, aber noch nie ein Schwimmer, fand der frühere Wasser-Polo-Athlet: «Das hört sich ganz nach einer Mission für mich an.» Zwar hielten ihn selbst Abenteuerkollegen für verrückt, aber diese Zweifel spornten Edgley nur noch mehr an. Zumal er einen potenten Sponsoren an seiner Seite weiss: Redbull. Der Getränkehersteller hält seinen Dauerschwumm darum in vielen Bildern und Video viral.
Der quirlige Edgley passt in die Strategie des Hauses: Er ist eloquent, lustig und sehr, sehr nahbar. Dass er an einer renommierten britischen Uni Sportwissenschaften studierte und auch als Unternehmer erfolgreich ist, hebt ihn aus der Masse der Abenteuer-Sportler heraus. Wichtiger aber: Edgley liefert. Übernächstes Wochenende sollte er seine Umrundung nach rund fünf Monaten geschafft haben. Schon jetzt kann man sich für einen der 300 Plätze bewerben, um mit ihm die finale Meile zu schwimmen.
Der schwimmende Hobbit
Dass es der schwimmende Hobbit so weit brachte, hat natürlich viel mit seinen Bärenkräften zu tun. Er arbeitet 12 Stunden am Tag im Wasser, einmal am Tag und einmal in der Nacht je 6 Stunden, damit er von den Gezeiten profitieren kann. Dies bedeutet: Edgley muss seinen Schlaf halbieren, was ihn zwar beeinträchtigt, aber nicht am Vorwärtskommen hindert.
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Bilder: Der schwimmende Muskelprotz
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Die Beine benötigt er dafür fast nicht. 90 Prozent der Bewegung generiert er über seinen Oberkörper. Dass er wie die Miniversion von Hulk aussieht, passt also ins Bild. Diese Fastbeinlos-Strategie hilft ihm, mit so geringem Puls wie möglich zu schwimmen. Edgley will verhindern, dass er seinen Körper überfordert und dafür büsst. Schliesslich ist nach dem Schwimmen bei ihm fast ein halbes Jahr lang vor dem Schwimmen.
Dank ans Kokosnussöl
Obschon er sich so professionell wie möglich auf die Umrundung vorbereitete, musste er in den ersten Wochen feststellen: Er befindet sich in einer unerbittlichen Welt. Das viele Salzwasser, das er schluckte, begann etwa seine Zunge zu zersetzen. Kleine Stücke lagen plötzlich auf seinem Kissen.
Überhaupt schwoll die Zunge derart an, dass er kaum mehr Festes essen konnte – und salzig durfte es kein bisschen sein, wollte er seine Pein wenigstens einigermassen kontrollieren können. Zwei Hausmittelchen halfen ihm über den drohenden GAU, also den Abbruch, hinweg: Mundwasser und Kokosnussöl. Vor allem das Fett bildete eine schützende Schicht und half mit, dass seine erste Problemzone heilte.
Die zweite früh im Rennen gegen sich selber betraf seinen Nacken. Weil sein Schwimmanzug ständig seinen Nacken scheuerte, zog er sich eine grosse, hässliche Wunde zu. Also schnitt sich Edgley seinen Anzug zurecht und klebte die Körperstelle mit Plastik ab. Damit aber erkaltete er noch stärker als ohnehin. Auf Videoaufnahmen zittert er vor Kälte darum so stark, dass er zurück auf dem Boot kaum das Brot zum Suppentunken halten kann.
Bis 15 000 Kalorien pro Tag
Überhaupt das Essen: 10 000 bis 15 000 Kalorien, so schätzt er, nimmt Edgley pro Tag zu sich. Am Morgen verdrückt er also schon mal zwei Pizzas und eine Riesenschüssel Porridge. Im Wasser ernährt er sich primär von Bananen, weil er neben ihrer Kaloriendichte und Verträglichkeit schlicht die Schale wegwerfen kann und sie seine Zunge wenig belasten.
Ansonsten futtert er, was ihm die Crew zubereitet. Drei Mitglieder befinden sich auf dem knapp 16 m grossen Katamaran, oft hat er auch ein Begleitboot direkt neben sich im Wasser sowie eine rosa Boje am Körper angemacht – er soll von vorbeifahrenden Schiffen schliesslich gesehen werden.
Sie zählen zu seinen grössten Problemen – neben Quallen. Zwar liess sich Edgley einen Bart wachsen, um die Schmerzen nach Kontakten mindern zu können. Bloss stachen ihn phasenweise derart viele, bis zu 20 am Tag, dass ihm weder Bart noch Gesichtsschutz massiv nutzten. Selbst diese Qualen nimmt Edgley mit Humor – wie er ohnehin versucht, in fast allen unangenehmen Situationen den Spass zu betonen.
Die Welt verkleinern
Er kann diese Attitude brauchen: Plagt ihn keine Quale, fällt seine Zunge nicht auseinander oder schwimmt er nicht durch Scheisse, muss er mit einem unerwarteten Gegner auskommen: sich selber beziehungsweise der Langeweile.
Wer 12 Stunden pro Tag im Wasser verbringt und nachts auch noch wenig sieht, verbringt viel Zeit im Gedankenkino. Wobei Edgley seine Gedanken so klein wie möglich zu halten versucht: Er denkt darüber nach, was er bald gerne essen würde, was er zuletzt gelesen hat, worauf er sich konzentrieren muss.
Denn die 3200 km schafft er nur, wenn er sie in kleine Teile herunterbricht – und immer wieder über sich selber staunt: Sein Körper kann noch so müde sein, wenn ihm der Geist befiehlt, den nassen Anzug anzuziehen und einen Armschlag nach dem anderen im Wasser auszuführen, folgt dieser wie ein treuer Esel.
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