Bilderbuch mit Happy End
In Berns Westen treffen sich jeden Mittwoch Kinder aus aller Welt. Im Künstleratelier Kidswest tun sie, was ihnen Spass macht. Nun haben sie zusammen mit dem Berner Autor Lukas Hartmann ein Bilderbuch erschaffen.
Mehr als einmal rettet das Wolfdromedar die Prinzessin aus einer misslichen Lage. Ja, genau, das Wolfdromedar. Wie dieses Fabelwesen aussehen könnte, stellen zwei Kinder im Künstleratelier Kidswest im Berner Bethlehemacker augenblicklich mimisch dar.
Auch die Hochnäsigkeit der Prinzessin, die erst nach einer langen und abenteuerlichen Reise umgänglich wird, können die syrischen Mädchen perfekt mit Grimassen vorzeigen. Wenn Worte nicht greifen, hilft Pantomime. Das hat Künstlerin Monika Erika Schüpbach, die sich lieber Meris nennt, gelernt. In den letzten Jahren hat sie künstlerisch mit Flüchtlingskindern gearbeitet, nun ist aus dieser Arbeit ein Bilderbuch entstanden – mit dem Wolfdromedar und der Prinzessin als Helden.
Gruselbahn und Bundesrat
«Die Abenteuer der Prinzessin Ivana» heisst das Buch, das die Kinder zusammen mit dem Autor Lukas Hartmann erfunden und selbst bebildert haben. Entstanden ist es im Atelier Kidswest, das Meris vor elf Jahren gegründet hat. Jeden Mittwochnachmittag treffen sich dort Kinder im Alter von 5 bis 15 Jahren. Sie stammen aus aller Welt, zum Beispiel aus Syrien, Somalia und Kosovo. Um die 30 Kinder sitzen im Kreis. Still ist es nie.
Es ist ein Gewirr, eine kaum zu bändigende Energie, die in diesem Raum liegt. Mittendrin Meris, gelassen und liebevoll. Was die Kinder in diesen Stunden machen, bestimmen sie selbst. Auf Kärtchen schreiben sie mögliche Projekte auf. Was die meisten Strichlein erhält, wird umgesetzt. So sind schon eine Gruselbahn (in Zusammenarbeit mit dem Fotografen David Zehnder), ein Bundesratsfoto (mit dem Künstlerduo Haus am Gern) und nun eben ein Bilderbuch entstanden. Je nachdem holt Meris andere Künstler mit ins Boot. Sie ist eine begnadete Netzwerkerin.
Häftlinge und Süchtige
Meris arbeitet seit Jahren in der Kulturvermittlung, wurde dafür auch mehrfach ausgezeichnet. Schon in den 1980er-Jahren führte die Künstlerin ein Kreativatelier mit Gefängnisinsassinnen in Hindelbank. Später arbeitete sie mit Arbeitslosen und Süchtigen. Und dann kam das Kidswest. «Anfangs dachte ich, ich würde das für zwei, drei Jahre machen, so wie die anderen Projekte auch, aber das liessen die Kinder nicht zu», sagt sie lachend. Sie blieb. Und blieb. Auch aus einem ganz pragmatischen Grund: «Das, was ich alles für Kidswest mache, würde niemand anderer für so wenig Lohn tun», sagt die 65-Jährige (siehe Kasten). Doch langsam möchte sie sich wieder anderen Projekten widmen. Ganz ihrem Naturell entsprechend: Meris liebt es, etwas anzureissen, es zum Funktionieren zu bringen und dann weiterzuziehen, sobald Routine eingekehrt ist.
Das Weiterziehen wird ihr schwerfallen. Immer wieder wird sie im Atelier von Kindern umarmt, liebevolle Briefe an sie hängen an der Wand – obwohl Meris durchaus die Stimme hebt, wenn die Kinder gar zu wild herumalbern. Seit einiger Zeit sind auch vermehrt Flüchtlingskinder aus Berner Asylzentren darunter. Ihre Eltern haben kein Geld, um Freizeitkurse zu finanzieren.
Als Meris die Kidswest- und Flüchtlingskinder vor zwei Jahren fragte, was sie tun wollten, antworteten sie sofort: «Theater spielen.» Dazu brauchte es erst eine Geschichte. An einer Veranstaltung traf Meris den Schriftsteller Lukas Hartmann. Sie fragte, ob er mit den Kindern eine Geschichte erfinden würde. Hartmann sagte sofort zu. Anfang 2016 sass er also inmitten der neugierigen Kinder. «Es herrschte ein Sprachenwirrwarr, die einen Kinder übersetzten den anderen. Es war laut. Die Kinder störte das weniger als mich. Mich hat die Situation ziemlich gefordert», erzählt er.
Kreatives Chaos
Bald fand sich doch eine Form der Zusammenarbeit. Die Kinder erfanden die Figuren, wie eben das Wolfdromedar oder die Prinzessin, gemeinsam besprach man, was ihnen zustossen würde, spielte es einander vor. Von Woche zu Woche schrieb Hartmann die Geschichte weiter, las den Kindern anschliessend vor, was er geschrieben hatte. «Nie war es so still, wie dann, wenn er vorlas», sagt Meris. Sie begleitete das Malen der Bilder. Mehrere Kinder gestalteten ein Werk. «Sie haben einander reingeredet, mit dem Pinsel reingefahren, geschimpft, sich wieder versöhnt», sagt Hartmann. Entstanden sind ausdrucksstarke, berührende Bilder. Aus der anfänglichen Idee eines Theaterstücks war ein Bilderbuch geworden. Aus dem Chaos eine Geschichte.
«Die Kinder haben einander reingeredet, mit dem Pinsel reingefahren, geschimpft, sich wieder versöhnt.»
Und Prinzessin Ivana? Die verliebt sich auf ihrer Reise in den Unterwasserkönig, der in einer Luftblase im Meer lebt. Ivana bleibt bei ihm – auf den Fischschwanz verzichtet sie aber, ihr sind die Menschenbeine lieber. Und so werden Flucht, Ankommen und Integration für einmal in Märchenform zum Thema.
Lukas Hartmann, Meris Schüpbach: «Die Abenteuer der Prinzessin Ivana», Stämpfli-Verlag. Vernissage: Freitag, 18.30 Uhr, Kulturhaus Visavis, Gerechtigkeitsgasse 44, Bern. Anmeldung: 031 311 15 89.
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