Wettlauf der SystemeBidens Booster für die Demokratie
Mit einem Demokratiegipfel will Joe Biden die freiheitliche Welt verteidigen. Dazu lädt er auch Staatschefs ein, die mit Menschenrechten nicht viel im Sinn haben.

Die Demokratie ist weltweit auf dem Rückzug. 15 Jahre in Folge ist der Demokratie-Index gesunken, mit dem die amerikanische NGO Freedom House ihren Zustand vermisst. US-Präsident Joe Biden sieht das als Beleg für einen Wettlauf zwischen demokratischen und autoritären Systemen. «Wir stehen an einer Weggabelung», sagte Biden am Donnerstag bei der Eröffnung eines Gipfels für Demokratie, zu dem er mehr als 100 Regierungen eingeladen hatte, darunter die Schweiz. «Die Entscheidungen, die wir heute fällen, werden fundamental die Richtung bestimmen, in welche die Welt sich in den nächsten zehn Jahren entwickeln wird.»
Nun versucht Biden, den Geist der Freiheit neu zu entfachen mit dem Gipfel, symbolträchtig gelegt auf den 9. und 10. Dezember, den Anti-Korruptions- und den Menschenrechtstag. Diese Themen bilden mit dem Kampf gegen den Autoritarismus den Kern des virtuellen Treffens. Ziel ist es, die Regierungen zu konkreten Versprechen für demokratische Verbesserungen zu verpflichten. Einigen kommt das wie gerufen. Félix Tshisekedi, Präsident der Demokratischen Republik Kongo, nutzte den Hebel, um interne Widerstände gegen Reformen aus dem Weg zu räumen, wie «Politico» beschrieb. Andere Länder hoffen auf Stärkung durch Solidaritätsbekundungen.
Das Problem ist hausgemacht
Doch welche Wirkung kann der Gipfel über Einzelfälle hinaus erzielen? Am drängendsten stellt sich die Frage bei den eingeladenen Regierungen mit zweifelhaftem Demokratieverständnis – zum Beispiel jenen von Pakistan, Indien oder auch Brasilien. Amerikanische Vertreter verweisen darauf, diese Länder bewiesen durch ihre Teilnahme Reformwilligkeit. Allerdings ist entscheidend, was umgesetzt wird. Skeptiker erwarten von einigen Staaten vor allem Lippenbekenntnisse. Lieber hätten sie zum Gipfel Aktivisten und Oppositionelle aus illiberalen Ländern begrüsst, um ihnen den Rücken zu stärken.
Die USA nutzen den Gipfel nicht nur zur Förderung der Demokratie, sondern auch zur Bündnispflege. Biden versteht den Kampf für die Demokratie als Wettstreit mit China und Russland. Um seine Alliierten bei der Stange zu halten, nimmt er Widersprüche beim Demokratiegipfel in Kauf. Wohl wissend, dass das kein beispielhaftes Verhalten ist zur Förderung von Demokratie, die Vertrauen und Transparenz voraussetzt.

Als Vorkämpfer der Demokratie können sich die USA ohnehin nicht präsentieren. Donald Trumps Gebaren hat das Ansehen der ältesten modernen Demokratie beschädigt: In einer internationalen Umfrage von Pew Research bezeichneten sie jüngst nur noch 17 Prozent als Vorbild. Biden hat wenig Erfolge vorzuweisen. Er hat es beispielsweise nicht geschafft, Leitplanken für das Wahlrecht zu setzen, das zahlreiche Staaten einschränken. Auch mit der Bekämpfung von Desinformation tut er sich schwer.
Pikiert sind China und Russland. Ihre Botschafter in den USA haben sich in einem Meinungsartikel darüber beklagt, nicht eingeladen worden zu sein. Die USA verfielen einer Mentalität des Kalten Krieges, sie spielten sich als Richter über die Demokratie auf. Auch ihre eigenen Staaten seien Demokratien, eine gewagte Behauptung, an gängigen Definitionen gemessen.
Bidens Liste ist eine Enttäuschung
Allen Kritiken zum Trotz könnte der Gipfel auch Erfolge zeitigen, am konkretesten bei der Bekämpfung von Korruption und Cyberangriffen, existenzielle Bedrohungen für offene Gesellschaften. Eine Enttäuschung waren jedoch die Versprechen des Gastgebers: Selbstkritik ist in Bidens Projekten nicht zu erkennen. 424 Millionen Dollar will er investieren; interne Reformen sind keine enthalten. Er will unabhängige Medien und Journalisten mitfinanzieren, Geld für ihre rechtliche Verteidigung zur Verfügung stellen und Korruption eindämmen – alles im Ausland. Das ist einfacher, als in harter Arbeit die eigene Demokratie zu reparieren.
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Fabian Fellmann schreibt seit mehr als 20 Jahren über politische Themen. Seit Sommer 2021 berichtet der Politologe als USA-Korrespondent aus Washington, D.C. Davor war er unter anderem als Brüssel- und als Bundeshaus-Korrespondent für verschiedene Zeitungsredaktionen tätig.
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