Regierungsbildung in IsraelBibi und die rechte Rasselbande
In den Koalitionsverhandlungen mit seinen ultranationalistischen und ultraorthodoxen Partnern präsentiert sich Benjamin Netanyahu als Garant für Demokratie und Stabilität. Doch die Bedenken bleiben.

Auf Israels politischer Bühne erleben die Bürger gerade einen neuen Benjamin Netanyahu. Nicht mehr den alten «König Bibi», der das Land für eine gefühlte Ewigkeit nach eigenem Gutdünken regiert hat. Nicht mehr den Scharfmacher und Trickser, der all seine Verbündeten und die Opponenten sowieso gegeneinander ausspielte.
Das neue Stück könnte den Titel tragen: Bibi und die rechte Rasselbande – und Netanyahu tritt auf als der einzige verantwortungsvolle Erwachsene, der sich in den gerade laufenden Koalitionsverhandlungen als Garant für demokratische Werte präsentiert und seine ultranationalistischen und ultraorthodoxen Partner im Zaum zu halten verspricht.
Die Protagonisten der Wahlliste Religiöser Zionismus haben sich Posten gesichert, von denen aus sie Israel nachhaltig verändern könnten.
Netanyahus Rollenspiel soll der Beruhigung dienen, nach Innen wie nach Aussen, und dies ist dringend nötig. Denn in Wirklichkeit scheint er in den Verhandlungen eine Art Ausverkauf zu betreiben. Profitieren konnten davon zunächst einmal die drei Protagonisten der Wahlliste Religiöser Zionismus, die sich inzwischen im Parlament wieder in drei Fraktionen aufgespalten hat. Jeder von ihnen hat sich einen Posten gesichert, von dem aus er Israel nachhaltig verändern könnte.
Da ist als politisch schwächster aus dem rechtsreligiösen Triumvirat zunächst einmal Avi Maoz von der homophoben und rassistischen Noam-Partei, für den Netanyahu im Premiersamt eigens einen Vizeministerposten geschaffen hat, zuständig für «Jüdische Identität». In seinen Verantwortungsbereich sollen auch Unterrichtsprogramme an Schulen fallen. In Interviews hat Maoz angekündigt, dass «als erstes» die Jerusalemer Gay Pride Parade untersagt werden müsse. Er nennt sie eine «Parade der Abscheulichkeiten».
Kontrolle über Westjordanland liegt in Siedlerhand
Seine Wunschposition hat sich Itamar Ben-Gvir von der Partei Jüdische Stärke gesichert. Als Minister für nationale Sicherheit wird ihm nicht nur die Polizei unterstellt, sondern auch die Grenzpolizeitruppe im besetzten Westjordanland. Eine erstaunliche Karriere ist dies für einen Mann, der in der Vergangenheit vor allem als Provokateur gegenüber den Palästinensern aufgefallen ist und der wegen Terrorunterstützung und Aufhetzung verurteilt wurde.

Als Dritter im Bunde hat Bezalel Smotrich von den Religiösen Zionisten sich zwar nicht wie gefordert das Verteidigungsministerium sichern können. Er soll nun Finanzminister werden – und trotzdem Zugriff im Verteidigungsministerium bekommen. Dort wird für seine Partei ein weiterer Ministerposten eingerichtet, der vor allem Zuständigkeiten im besetzten Westjordanland garantiert, zum Beispiel für die Zivilverwaltung und den Siedlungsbau. Die Kontrolle über die dort lebenden Palästinenser und israelischen Siedler liegt damit also künftig in Siedlerhand.
Inhaltlich geht es in den Koalitionsverhandlungen obendrein noch um den Umbau des Justizsystems, vorneweg um die Entmachtung des Obersten Gerichts, und um eine Stärkung der religiösen Instanzen. All das zusammengenommen sorgt ausserhalb des künftigen Machtapparats für zunehmende Besorgnis – in Israel selbst und auch beim besten Verbündeten in den USA.
Der Bürgermeister der liberalen Hochburg Tel Aviv, Ron Huldai, sieht Israel auf dem Weg «von der Demokratie zur Theokratie».
Je länger die Verhandlungen dauern, desto schriller werden die Stimmen. Der scheidende Übergangspremier Jair Lapid warnt: «Diese Regierung wurde demokratisch gewählt, aber sie will die Demokratie zerstören.» Der Bürgermeister der liberalen Hochburg Tel Aviv, Ron Huldai, sieht Israel auf dem Weg «von der Demokratie zur Theokratie» und zieht Vergleiche zum Faschismus.
Der frühere Generalstabschef Gadi Eisenkot kündigt schon einmal vorsorglich Massendemonstrationen mit Millionen von Menschen an, falls die neue Regierung die Demokratie beschädige. Und aus Washington mahnt Aussenminister Antony Blinken: «Wir werden uns auch weiterhin unmissverständlich allen Handlungen entgegenstellen, die die Aussichten auf eine Zweistaatenlösung untergraben.»
Schwierige Verhandlungen um die neue Regierung
Netanyahu kontert dies mit einer Reihe von Interviews, in der er alle Befürchtungen zu zerstreuen sucht. «Israel wird künftig nicht nach den Talmud-Gesetzen regiert», sagt er da zum Beispiel, und natürlich werde die Jerusalemer Pride Parade weiter stattfinden. Er verweist auf die Kräfteverhältnisse in der künftigen Regierung, in der sein Likud mit 32 Sitzen über genauso viele Mandate verfügt wie alle Koalitionspartner zusammen. «Es ist nicht so, dass wir uns ihnen anschliessen», erklärt er. «Sie schliessen sich uns an.»
Wie schwierig das Ringen um die neue Regierung ist, belegt allerdings allein die Länge der Koalitionsverhandlungen. Die dafür vorgesehene Frist von 28 Tagen läuft diesen Donnerstag aus, die Verlängerungsfrist beträgt noch einmal 14 Tage. Danach muss die Regierung stehen – und der eigentliche Härtetest beginnt: Bibi und die rechte Rasselbande müssen zusammen das Land regieren.
Fehler gefunden?Jetzt melden.