«Bei der Mafia gibt es wenigstens mehr Know-how»
Tausende von Menschen vertrauen sich Schleppern an, um das Traumziel Europa zu erreichen. Ein Belgrader Hotel spielt dabei eine zentrale Rolle.

Vom türkischen Bodrum bis nach Passau in Deutschland – die Schlepperroute über den Westbalkan ist die Hoffnung von Tausenden von Flüchtlingen aus Syrien oder anderen Krisengebieten im Nahen Osten oder Nordost-Afrika. Und ein Gebäude in Belgrad nimmt im Flüchtlingsstrom eine zentrale Rolle ein: das Viersternehotel Mr. President.
In seiner neusten Titelgeschichte hat «Der Spiegel» sich der Problematik der Flüchtlingsroute angenommen. «Viele Flüchtlinge schlafen im Mr. President, vor allem die Wohlhabenden unter ihnen, bevor es weitergeht nach Österreich, Deutschland, Belgien oder in die Niederlande. Sie übernachten in Räumen, in denen Öl-Porträts von Wladimir Putin über dem Bett hängen, von Lenin und Ronald Reagan, 61 Zimmer auf sieben Etagen, überall Porträts der Mächtigen der Welt. Die wirklich mächtigen Männer sitzen aber vor dem Eingang auf Stühlen und telefonieren, sie tragen offene Hawaiihemden und Bauchtaschen», schreibt das deutsche Magazin.
Keine Unterschiede bei den Gesellschaftsschichten
In diesem Belgrader Hotel laufen die Fäden zusammen. Schlepper – mit mindestens drei Handys und einem Kopfhörer im Ohr – und verzweifelte Flüchtlinge treffen sich. «Der Spiegel» weiss, dass ein Ticket von Serbiens Hauptstadt bis zur ungarischen Grenze satte 1500 Euro kostet. Dabei ist die Strecke nur 200 Kilometer lang – ein Wucherpreis. Noch vor wenigen Wochen habe die Fahrt nur 300 Euro gekostet. Mittlerweile seien die Preise explodiert. Ein grosses Problem ist, dass zu viele Menschen nach Deutschland wollen, aber es zu wenig Autos gibt, um diese zu transportieren.
Die Flüchtlinge treffen sich beim Mr. President. Arme oder reiche landen im selben Lastwagen oder Kleintransporter. «Kurz bevor es losgeht, fahren die Chefs der Schlepper vor, im Porsche Cayenne und einem weinroten Panamera. Setzen sich auf die Stühle des Hotelcafés, zufrieden mit dem Ablauf ihrer Geschäfte», beobachtet der Reporter. Syrer erzählen, dass jeder Flüchtling wisse, dass man vom Mr. President in die EU komme. Helfer der Schleuser sprechen die auf der Flucht befindlichen Menschen kurz nach der mazedonischen Grenze an und versprechen ihnen die Weiterreise nach Belgrad und später nach Budapest.
Der Drahtzaun hält die Vertriebenen nicht auf
An der ungarisch-serbischen Grenze will die Regierung Ungarns den Menschenstrom aufhalten. Es bleibt bei der Absicht, selbst der in Eile erstellte Drahtzaun hält die Flüchtlinge nicht auf, wie Bilder von Medien jüngst immer wieder gezeigt haben. Niemand hält die Emigranten auf, schon gar nicht im Schutz der Dunkelheit. Weitere Schleuser in der Grenzstadt Röszke warten schon auf das nächste Business, sie machen sich mit dem Kennwort «Arabic, Arabic?» bemerkbar. Noch einmal verlangen die Schleuser für die Weiterfahrt 200 oder 300 Euro – sie sind die Nutzniesser dieser menschlichen Tragödie.
Nach Budapest geht die beschwerliche Reise weiter in Richtung Österreich nach Parndorf bei Wien, wo eine Nothaltebucht existiert. Mittlerweile haben sich die Dinge so entwickelt, dass die Flüchtlinge das letzte Teilstück von Wien bis zu ihrem Traumziel Deutschland legal unternehmen dürfen, trotz organisatorischen Hindernissen beim Transport.
Biotop von Kriminellen
Gerald Tatzgern, der in Wien die Taskforce Menschenhandel beim österreichischen Kriminalamt leitet, beschreibt die Schlepperszene auf dem Westbalkan als wildes Biotop von Kleinkriminellen, regionalen Banden und wenig organisierten Netzwerken mit bis zu 200 Mitarbeitern. Und er ergänzt: «Absolut vergleichbar mit dem Drogengeschäft.» Als Pragmatiker sieht er die Welt so, wie sie ist. Paradoxerweise sei es für Flüchtlinge sicherer, sich einer organisierten Schlepperbande anzuvertrauen. «Bei der Mafia gibt es wenigstens mehr Know-how und nicht diese brutale Sorglosigkeit, die am Ende auf grausame Art Menschenleben fordert.» Tatzgern und sein Team versuchen, den schlimmsten Auswüchsen entgegenzutreten.
Dass der lange und beschwerliche Exodus aus der Heimat nicht immer mit einem Happy End endet, ist hinlänglich bekannt. Die jüngste Tragödie auf Österreichs A4, als 71 Menschen in einem Kühlwagen tot aufgefunden wurden, hat weltweit Schlagzeilen und weit über Europa hinaus die Bevölkerung betroffen gemacht. Andere Abenteuer von Flüchtlingen gingen glimpflicher aus, wie das Beispiel eines Iraners und Pakistaners zeigt. In Belgrad zahlen die beiden Männer 300 Euro für einen versprochenen Schlepperdienst in einem Mercedes bis Wien. Doch sie werden mit 30 anderen Menschen in einen kleinen Lastwagen gepfercht. Mithilfe eines Schraubenziehers, den sie im Laderaum finden, können sich die Flüchtlinge befreien. «Am nächsten Tag», so berichtet «Der Spiegel», «stehen die beiden Männer wieder in Belgrad. Um 300 Dollar ärmer, aber wenigstens am Leben.»
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