«Bei 1:20 wäre es gleich ausgegangen»
Die 1:12-Initiative der Juso sei nicht am Thema gescheitert, sondern an der angebotenen Lösung, sagt Politologe Claude Longchamp. Er sieht die Niederlage vom Wochenende aber in einem grösseren Zusammenhang.

Die 1:12-Initiative hat eine Zustimmung von 35 Prozent erreicht. Ist dies das maximale Potenzial für linke Anliegen in der Schweiz?
Das kommt darauf an, wie man links definiert. Im Sinne von rotgrün ist links potenziell mehrheitsfähig, wie etwa die Zweitwohnungsinitiative zeigt. Hauptgrund ist hier, dass ungebundene und bürgerliche Wähler mit ökologischer Ausrichtung bisweilen zustimmen. Wenn man links mit gewerkschaftlich übersetzt, kommt man der Sache an sich näher. Die Ferieninitiative steht hierfür als typisches Beispiel. Die 1:12-Initiative folgte eher der gewerkschaftlichen Logik, erweitert durch die sozial-moralische Skandalisierung. Viel gebracht hat dies mit Blick auf das Ergebnis diesmal nicht.
Wie unterscheidet sich das Anliegen zum Beispiel von der Abzockerinitiative, die von links und rechts getragen wurde? War 1:12 grundsätzlich zu links, oder einfach zu radikal links?
Es gibt zahlreiche Unterschiede. Zunächst einmal die Trägerschaft, dann der Inhalt und schliesslich die behördliche Reaktion. Bei Minder konnte sich das Parlament nicht einmal auf eine Empfehlung einigen, bei 1:12 gab es eine klare Links-rechts-Polarisierung mit bürgerlicher Mehrheit. Schliesslich unterschieden sich auch die Abstimmungskämpfe. Minder gelang es, die relevante Arena der Debatte aus seiner Sicht zu erzwingen, ganz im Gegensatz zur Juso-Initiative, die zwar ein Problem aufwarf, deren Lösungsansatz aber von Beginn weg umstritten war.
Denken Sie also, dass die Juso mit einer geschickteren Kommunikationsstrategie mehr hätten herausholen können?
Dass sie bürgerliche Parteien für sich gewinnen können, halte ich für unwahrscheinlich. Sie polarisieren zu stark. Möglich wäre aber gewesen, einen Teil der bürgerlichen Wähler abzuholen, Rentner zum Beispiel. Mit der Argumentation, dass 1:12 früher eine Selbstverständlichkeit war. Das hätte beispielsweise von ehemaligen SP-Parteipräsidenten oder Alt-Bundesräten der SP vorgebracht werden können.
1:12 stimmten 35 Prozent zu. Kann man sagen, dass zum Beispiel 1:20 angenommen worden wäre? Also das Anliegen einer staatlichen Kontrolle über die Lohndifferenzen grundsätzlich Zustimmung findet, aber nicht in dieser radikalen Variante?
Ich denke nicht, die Gegnerschaft hat sich, nicht zuletzt nach der Niederlage bei der Abzockerinitiative, neu aufgestellt und Angriffsflächen vermieden. Sie hat die Initiative an sich abgelehnt, die ihrer Ansicht nach das Erfolgsmodell Schweiz bedroht hätte. Das wäre bei 1:20 ziemlich sicher gleich ausgegangen. Vielleicht mit zwei, drei Prozent weniger Ablehnung.
Die Juso und SP-Vertreter des linken Flügels sagen, die Initiative habe trotz Ablehnung die Diskussion um hohe Gehälter angetrieben. Die Gegner sehen den Ausgang als ein «Eigentor» für die Juso. Was sagen Sie?
Richtig ist, dass sich in den letzten rund zehn Jahren das Lohnthema in der öffentlichen Debatte entwickelt hat. Da ist die Juso-Initiative aber nicht der Ursprung, sondern ein Mosaiksteinchen. Als Nächstes kommt die Mindestlohninitiative. Ich würde diese Volksbegehren aber nicht anhand des generellen Missstandes beurteilen, den sie thematisieren. Sondern anhand des konkreten Problems und des Lösungsansatzes, den sie anbieten. Beim Mindestlohn geht es nicht mehr um Managerlöhne, sondern um die Sicherung nach unten. Eine Umfrage des Gewerkschaftsbundes zeigte vor einem halben Jahr, dass es viel Zustimmung zur Idee gibt. Das Parlament wiederum hat nach anfänglichem Zögern beschlossen, nicht auf die Initiative einzutreten. Das ist riskant, erleichtert aber die Kommunikation, weil sich zwei Modelle des Umgangs mit dem Thema gegenüberstehen werden. Ich denke, das ist das Entscheidende: Die Juso haben zwar nach innen erfolgreich gewirkt und die Basis der rotgrünen Parteien mobilisiert. Aber sie haben das Schreckgespenst des Sozialismus geweckt, das zur Sammlung ihrer Gegner in einer Linie beigetragen hat.
Die Fragen wurden schriftlich gestellt und beantwortet.
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