Paramilitärische Szene auf dem Vormarsch
In mehreren europäischen Städten beobachten die Sicherheitsbehörden ein Aufkeimen rechtsextremistischer Gewalt. Dennoch zeigen sich Experten über den jüngsten Anschlag in Norwegen erstaunt.

Der Rechtsextremismus-Forscher der Freien Universität Berlin (FU), Hajo Funke, bezeichnet es als ungewöhnlich, dass ausgerechnet Norwegen Ziel eines offenbar rechtsextremistisch motivierten Anschlags geworden ist. «Der Rechtsextremismus in Norwegen ist relativ schwach ausgeprägt», sagte Funke gestern in einem Interview der Nachrichtenagentur dapd.
Sehr viel stärker sei in der Vergangenheit die rechtsextreme Szene in Schweden gewesen, betonte Funke. Auch sei die Ideologie der norwegischen Rechten wesentlich weniger stark gewaltverherrlichend als etwa bei deutschen Neonazis.
Neue Bedrohung für Europa?
Der Anschlag eines mutmasslichen Rechtsextremen in Norwegen rückt die paramilitärische Szene in Europa ins Licht. Ein Jahrzehnt nach den Al-Qaida-Anschlägen in den USA hat sich auf dem Kontinent eine neue Bedrohung entwickelt.
In vielen westeuropäischen Städten beobachten die Sicherheitsbehörden besorgt, wie sich rechtsextreme Einstellungen verbreiten und von einer giftigen Mischung aus anti-muslimischen Reflexen, Widerstand gegen das Zusammenleben mit Einwanderern und wachsenden wirtschaftlichen Nöten genährt werden.
Die Attentate in Norwegen seien für Europa ein Einschnitt wie der Anschlag in Oklahoma City 1995 in den USA, sagt ein Experte. Damals hatte der amerikanische Rechtsextreme Timothy McVeigh eine in einem Lastwagen deponierte Bombe vor einem Regierungsgebäude zur Explosion gebracht und 168 Menschen getötet.
In Europa richtet sich die Gewalt der einschlägigen Szene bereits des öfteren gegen Einwanderer. Auch kam es vielfach zu Auseinandersetzungen zwischen extremen Gruppen.
Gegenstück zu Oklahoma City
Die Tat in Norwegen sprengt diese Dimensionen aber deutlich: Bei den Anschlägen im Zentrum von Oslo und auf der Ferieninsel Utøya wurden mehr als 90 Menschen getötet - in West-Europa das grösste Attentat seit den Selbstmord-Anschlägen von London im Jahr 2005.
Sollten sich die Hinweise auf das Motiv des Attentäters erhärten, sei die Botschaft nicht zu unterschätzen, sagt Hagai Segal, ein Experte für Sicherheitspolitik an der New York University in London. «Ein solcher rechtsextremer Angriff wäre in Europa und ganz sicher in Skandinavien beispiellos.»
«Das wäre das hiesige Gegenstück zu Oklahoma City: der Anschlag einer Einzelperson mit extremen regierungsfeindlichen Ansichten und Verbindungen zu bestimmten Gruppen, gegen die Regierung gerichtet und mit dem Ziel eines Regierungsgebäudes oder einer Regierungsinstitution.» Die nächste entscheidende Frage sei, ob der Mann auf eigene Faust oder als Teil einer Gruppe gehandelt habe.
In Kontakt mit andern Gruppen
Europa ist wachsam. Die oberste europäische Polizeibehörde Europol hat in ihrem Jahresbericht 2010 zwar festgestellt, es gebe derzeit keinen rechtsextremen Terrorismus auf dem Kontinent.
Sie beobachtete zugleich jedoch eine zunehmende Professionalisierung der Szene. Dies zeige die Entschlossenheit der Rechten, weitere Anhänger anzuwerben und ihre Ideologie zu verbreiten. «Damit stellen sie eine Gefahr in den EU-Mitgliedstaaten dar.»
Jonathan Evans, Generaldirektor des britischen Geheimdienst MI5, erinnerte im vergangenen September an den Neo-Nazi David Copeland, der 1999 mit Nagel-Bomben auf muslimische Einwanderer und Homosexuelle in London los ging und drei Menschen tötete. «Persönliche Überzeugung kann zu vielem treiben und selbst ein entschlossener Amateur kann Verheerendes anrichten», sagte Evans.
Die obersten Sicherheitsbehörden Norwegens stellten bereits im Februar eine «erhöhte Unsicherheit» fest. In diesem Jahr seien mehr Aktivitäten der Rechtsradikalen zu erwarten, hiess es im nationalen Sicherheitsbericht. «Norwegische Rechtsextreme stehen in Kontakt mit schwedischen Rechtsextremen, genauso wie mit anderen rechtsextremen Gruppen in Europa.»
Ungewöhnlich für europäische Rechtsradikale
Die Taten von Oslo und Utøya könnten nach den Worten des Wissenschaftlers Segal eine gefährliche Eskalation dieser Entwicklung markieren: «Die Taktik dieses Angriffs wäre frappant, wenn er auf einen einheimischen, weit rechts angesiedelten Täter zurückgeht.»
«Dass jemand versucht, den norwegischen Ministerpräsidenten zu töten, ist eine Sache und nicht überraschend für Extremisten. Aber ganz normale Bürger auf diese Weise zu töten, ist sehr sehr ungewöhnlich, auch für Rechtsextreme oder Rassisten, und ganz bestimmt für solche in Europa», erläuterte Segal.
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