Zwei Tage zuvor hatte er die beiden Hauptexponenten des libyschen Bürgerkriegs in Paris empfangen und ihnen das Versprechen abgerungen, den Wüstenstaat am Mittelmeer zu «stabilisieren». Der Präsident strebe eben eine «umfassende Lösung» des libyschen Knotens an, schickten seine Berater nach.
Dann kam das Zurückrudern: Aus «Sicherheitsgründen» sei ein Einrichten solcher Hotspots «heute nicht möglich», hiess es am Abend aus dem Elysée-Palast.
In Brüssel, Berlin oder Rom, wo man die Ankündigung des Franzosen wenig goutiert hatte, wunderte man sich nicht wenig. Und auch in Paris erschienen Kommentare, der Präsident suche mit seinem Vorpreschen wohl von innenpolitischen Schwierigkeiten abzulenken.
Erfolgversprechender Ansatz
Der Sarkasmus und die europäische Kritik sind nur zum Teil berechtigt. Macrons Initiative ist nicht nur heisse Luft. Die Hotspots in Libyen will er dem «Französischen Amt für den Schutz von Flüchtlingen und Staatenlosen» (Ofpra) unterstellen. Es ist bereits in zahlreichen Ländern aktiv; im Libanon, in Jordanien, der Türkei oder Ägypten hat es 10 000 Asylgesuche behandelt, wie Vorsteher Pascal Brice am Freitag erklärte.
Im frankofonen West- und Nordafrika hat das Ofpra eine fundierte Erfahrung im Umgang mit Krisenherden. «August», wie es im Elysée heisst, soll eine Ofpra-Mission die Machbarkeit von Hotspots in Libyen, aber auch in den Sahelstaaten Niger und Tschad abklären.
Zugleich bleibt Macron in Kontakt mit den libyschen Bürgerkriegsparteien, darunter dem starken Mann Chalifa Haftar, einem Warlord, dessen Legitimation vor allem militärischer Natur ist. Man kann diese französische Realpolitik kritisieren, doch verspricht sie derzeit mehr Erfolg als der italienische und der deutsche Ansatz, der sich auf den international anerkannten, aber faktisch machtlosen Übergangspremier Fayez al-Sarraj im Landeswesten stützt – dort, wo die Islamistenmilizen ihr Unheil treiben und teils mit Schlepperbanden gemeinsame Sache machen.
Vorauseilender Realpolitiker
Macrons Hotspot-Ankündigung war zweifellos zu wenig überlegt, aber sie hat auch ihr Gutes, indem sie der EU den Spiegel ihrer Uneinigkeit vorhält und die Debatte voranbringt. Über 2000 in Libyen gestartete Bootsinsassen sind laut offiziellen Schätzungen seit Jahresbeginn ertrunken.
Laut dem französischen Präsidenten warten in Libyen 800 000 bis eine Million Menschen unter unwürdigen Bedingungen darauf, nach Europa zu gelangen. Macron wiederholte mehrfach, nur ein Teil könne als Flüchtlinge Asyl beanspruchen. In Frankreich selbst will er das Asylverfahren von neun Monaten im Jahre 2015 und heute noch fünf Monaten weiter auf zwei Monate verkürzen. Und in Calais greift die Polizei hart durch, um einen neuen «Dschungel» zu verhindern.
Der Politnovize Macron entpuppt sich damit als vorauseilender Realpolitiker, der die Lage nüchtern beurteilt und allerhöchstens seine eigenen Kapazitäten überschätzt. Seine Haltung gefällt nicht allen und nicht überall. Aber den Vorwurf der Untätigkeit gegenüber dem Flüchtlingsstrom verdient er nicht. Nicht er.