«Brexit ist eine Chance für die EU»
Der Brexit-Chefunterhändler des Europäischen Parlaments, Guy Verhofstadt, sieht den ersten Austritt eines Mitgliedslandes als Chance für die EU. Und er rollt Russland den Teppich aus.

Die Antwort auf die Krise der EU lautet für Guy Verhofstadt nicht weniger, sondern mehr Europa. Der Stargast am ersten Tag des Alpensymposiums in Interlaken räumte in seiner mit viel Pathos vorgetragenen Rede zwar ein, es falle schwer, optimistisch zu sein nach einem «dramatischen Jahr» mit dem Brexit-Entscheid, der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten, dem Nein zur Verfassungsreform in Italien und den anhaltenden wirtschaftlichen Problemen in einigen EU-Ländern.
Für den zuständigen Chefunterhändler des Europäischen Parlaments ist der Brexit aber «nicht nur ein Problem, sondern eine Gelegenheit dafür, die EU tiefgreifend zu reformieren».
«Es gibt keine Union»
Der frühere belgische Premierminister möchte insbesondere das Vetorecht jedes Mitgliedslandes streichen. Denn bislang existiere faktisch gar keine Europäische Union: «Es gibt keine Union, sondern bloss eine lose Verbindung von 28 Ländern, die am Einstimmigkeitsprinzip festhält.»
«Die Union wird ohne grundlegende Reformen der Institutionen nie funktionieren können.»
Dies habe dazu geführt, dass eine kleine finnische Partei das EU-Rettungspaket für Griechenland habe blockieren können, oder die belgische Region Wallonien das europäisch-kanadische Handelsabkommen Ceta. Während die USA zum Beispiel nach der Finanzkrise innerhalb weniger Monate ein Rettungspaket hätten schnüren können, streite Europa immer noch darüber, wie die Banken saniert werden sollen. «Die Union wird ohne grundlegende Reformen der Institutionen nie funktionieren können», sagte Verhofstadt.
Schon die Gründerväter hätten keine lose Verbindung geplant, sondern eine Länderunion mit einer Regierung. Kritikern der Vereinigten Staaten von Europa hält Verhofstadt entgegen, die einzelnen Länder müssten nicht Macht und Souveränität abgeben, sondern erhielten diese zurück.
Denn die grossen Probleme wie Migration, Finanzkrise oder Klimawandel liessen sich nicht mehr national angehen. Der Druck zu mehr Integration steige. Und Verhofstadt glaubt, «nicht Europa ist unpopulär, sondern wie die EU funktioniert».
Keine Extrawürste mehr
Auch beim Brexit ging es laut Verhofstadt primär nicht um die EU, sondern um die Migration. Mit Blick auf die anstehenden «schwierigen Austrittsverhandlungen» bekräftigte Verhofstadt aber, Grossbritannien könne nicht im EU-Binnenmarkt bleiben, ohne die Personenfreizügigkeit zu gewähren. «London kann nicht den EU-Pass für seine Banken fordern, aber Arbeitnehmer aus der EU abweisen.» Dieser Punkt bleibe auch im Verhältnis der Schweiz mit der EU zentral.
«London kann nicht den EU-Pass für seine Banken fordern, aber Arbeitnehmer aus der EU abweisen.»
Zu den drängenden Reformen zählt für Verhofstadt, dass die EU-Mitglieder überall mitmachen müssen, also etwa bei der gemeinsamen Währung oder dem Grenzschutz. Schliesslich habe Grossbritannien viele Extrawürste gehabt, «was sich nicht auszahlte».
Zugleich reicht der Belgier Russland die Hand für eine engere Zusammenarbeit. «Wir müssen unser Verhältnis verbessern. Für mich gehört Russland zu Europa.» Verhofstadt schwebt ein zweites Helsinki-Abkommen vor, also «eine Kombination wirtschaftlicher Zusammenarbeit mit politischen Reformen». Im Gegensatz zu Donald Trump hält Verhofstadt aber wenig vom russischen Präsidenten Wladimir Putin. Für Europa sei es umso wichtiger, auch militärisch enger zu kooperieren.
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