Zwischen Brutalität und Posse
Ghadhafi wirkte auf Weltöffentlichkeit wahlweise lächerlich oder abstossend. Doch der Exzentriker hat sich länger als fast jeder andere Politiker an der Macht gehalten.
Der libysche Machthaber Muammar al-Ghadhafi ist eine schillernde Persönlichkeit: eine Ikone der Revolution in seinem Land, ein dreister Förderer des Terrorismus, ein Verwalter riesiger Einnahmen aus dem Ölgeschäft, ein grossspuriger Diktator und ein im Ausland Geächteter, der sich in den vergangenen Jahren dem Westen wieder annäherte. Auf die Weltöffentlichkeit wirkte er wahlweise faszinierend, lächerlich oder abstossend.
Derzeit erfindet er sich möglicherweise zum letzten Mal neu - als apokalyptische Figur, als Staatschef, der seine Bevölkerung einen hohen Blutzoll zahlen lässt, um an der Macht zu bleiben. Vor vier Jahrzehnten stürzte er gemeinsam mit anderen Offizieren in einem Putsch König Idris. Indem er nun Kampfflugzeuge und Militärhubschrauber gegen Demonstranten einsetzt und damit droht, Libyen in eine Hölle zu verwandeln, hat Ghadhafi auch noch die pure Fassade von legitimer Herrschaft über sein Volk abgestreift. Dass er das Schicksal von sechs Millionen Einwohnern damit den Marotten eines Narzissten preisgibt, scheint ihm entweder nicht bewusst oder egal zu sein.
Zwischen Brutalität und Posse
Der einst als «Bruder Führer der Revolution» bekannte Ghadhafi steht nun an einer Weggabelung zwischen Brutalität und Posse. Früher stand er in der Kritik, weil er die italienischen Roten Brigaden und die Irisch-Republikanische Armee (IRA) finanzierte. 1988 wurde sein Regime mit dem Flugzeuganschlag über der schottischen Ortschaft Lockerbie mit 270 Toten in Verbindung gebracht. Schlagzeilen machte er aber auch stets mit seiner Exzentrizität.
So nahm er sein Beduinenzelt gern mit auf Reisen. Das weisse Zelt wurde beispielsweise bei Besuchen Gaddafis in Moskau, Paris und Rom aufgeschlagen. Seine persönliche Leibwache, die Amazonengarde, bestand aus jungen Frauen, die in Kampfsportarten ausgebildet waren. Er selbst trug gerne grelle Militäruniformen, Beduinentracht oder Kleidung mit afrikanischen Mustern, dazu Sonnenbrille und Fliegenpatsche. In seinem ersten Fernsehauftritt nach Beginn der Proteste erschien er mit einem Regenschirm und einer Art Jägerkappe mit Klappen über den Ohren.
In einer Rede 2009 vor den Vereinten Nationen sprach er über seinen Jetlag, die Ermordung von US-Präsident John F. Kennedy und einen Vorschlag, dass der Nahostkonflikt durch die Bildung eines Staats namens «Isratina» gelöst werden solle, in dem Israelis und Palästinenser zusammen leben. Ein Exemplar der UN-Charta zerriss er vor der Vollversammlung und kritisierte den Sicherheitsrat als eine Form globalen Feudalismus.
«Leidet an Wahnvorstellung absoluter Herrscher»
Bei zwei Besuchen Gaddafis in Rom wurden 200 junge Frauen von einer Modellagentur ausgewählt, um einer Lesung des Staatschefs zum Thema Islam zuzuhören. Teilnehmerinnen eines der Termine 2009 sagten, sie hätten dafür 50 Euro erhalten. Bei der jüngsten Sitzung im vergangenen August konvertierten drei der Frauen.
Ghadhafi leide an «dem Sendungsbewusstsein und dem Gefühl persönlicher Macht, das jemand hat, der lange an der Spitze war und dem kaum jemand ernsthaft widerspricht», sagt Richard Dalton, ein früherer britischer Botschafter in Libyen und dem Iran. Der Machthaber leide an der Wahnvorstellung absoluter Herrscher, die selbst dann noch, wenn ihnen die Menschen in Scharen davonlaufen, glauben, dass es der Fehler der Menschen sei.
Mit dem Volksaufstand in seinem Land geht Ghadhafi anders um als die Potentaten in anderen Teilen der arabischen Welt. Diese hatten nicht die Macht oder den Willen, ihren eigenen Bürgern den Krieg zu erklären. Der tunesische Präsident flüchtete ausser Landes, der ägyptische Präsident trat unter dem Druck der Strasse zurück, der König von Bahrain versucht eine Verhandlungslösung.
Zuletzt vom Westen umworben
Ghadhafi glaube an seine eigene Macht, sagt der Libyer Mustafa Abuschagur, Präsident des Dubai-Campus am Rochester Institute of Technology im Staat New York. 40 Jahre lang hätten ihm seine Gefolgsleute gesagt: «Du bist der Grösste.» Der libysche Ölreichtum beflügelte Gaddafis Torheiten. Um den ugandischen Diktator Idi Amin zu stützen, schickte er Truppen, nach Amins Sturz nahm er ihn vorübergehend in Libyen auf. US-Präsident Ronald Reagan nannte Ghadhafi den «verrückten Hund des Nahen Ostens».
In den vergangenen Jahren schwor er offiziell Massenvernichtungswaffen und dem Terrorismus ab und stimmte libyschen Entschädigungszahlungen an Terroropfer zu. Mit Blick auf den Ölreichtum seines Landes umwarben westliche Politiker Ghadhafi daraufhin. Noch in der vergangenen Woche gab er in einer Rede in der Nähe der Skulptur einer goldenen Faust, die ein US-Kampfflugzeug zermalmt, noch Durchhalteparolen aus. «Ich sehe nicht, dass er überlebt», sagt der Diplomat Dalton. «Man könnte wohl mit Shakespeare sagen, dass seine Eitelkeit seine tödliche Schwachstelle ist.»
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