Die kapitalistische Enklave in Nordkorea
Jeden Morgen überqueren hunderte Südkoreaner die schwer bewachte Grenze in den Norden. Sie arbeiten inmitten von Feindesland.
In der südkoreanischen Grenzstadt Dorasan treffen sich jeden Morgen hunderte Männer und Frauen in Anzügen am Busbahnhof. Sie steigen ein und fahren zur Arbeit – vorbei an Stacheldrahtzäunen, Minenfeldern und Wachtürmen. Ihre Büros liegen auf der anderen Seite der Grenze, im Industriepark Kaesong.
Insgesamt 121 hauptsächlich südkoreanische Technologie-Firmen beschäftigen auf dem isolierten Gelände in Nordkorea gut 40'000 Angestellte, davon etwa 500 Südkoreaner. Entstanden ist die kapitalistische Enklave vor gut zehn Jahren, als sich die beiden Bruderstaaten zaghaft annäherten. Die «New York Times» hat Kaesong besucht.
Seit Nordkorea im März mutmasslich das südkoreanische Schiff Cheonan torpedierte und versenkte, befinden sich die beiden Staaten in ihrer schwersten diplomatischen Krise seit Jahren. Doch laut NYT lassen sowohl Südkorea als auch Nordkorea die Firmen in Kaesong gewähren. Keines der beiden Länder kann es sich leisten, das Gelände zu schliessen.
Nordkorea verdient, Südkorea spart
Nordkorea verdient laut der Zeitung monatlich 50 Millionen Dollar an dem Park. «Es ist einer der wenigen wirtschaftlichen Erfolge, welche die Regierung ihrem Volk vorweisen kann», so das Blatt mit Verweis auf einen Nordkorea-Experten an der Universität von Seoul. «Und dies zu einer Zeit, da Kim Jong-il offenbar die Amtsübergabe an seinen dritten Sohn vorbereitet.» Wenn es dem Regime nicht gelinge, die Armut der Menschen zu lindern, könne diese Nachfolgeregelung scheitern.
Für Südkorea andererseits ist das Vermögen von 250 Millionen Dollar, das Kaesong jährlich erwirtschaftet, nicht viel Geld. Doch der Park ist von grosser symbolischer Bedeutung: «Es steht dafür, dass die beiden Koreas eines Tages wieder friedlich vereint werden könnten.» Die Unterstützung für Kaesong komme aus den obersten Etagen, schreibt NYT mit Verweis auf einen hohen Regierungsangestellten – so zeige man dem Norden, dass die «Türe für eine Verbesserung der Beziehungen» offen bleibe.
Gemeinsam gegen China
Eine gemeinsame Hoffnung verkörpert Kaesong ausserdem für beide Staaten: Dass sie es schaffen, die Abhängigkeit von China zu reduzieren. Die südkoreanischen Firmeneigner hoffen, Arbeit künftig vermehrt zu Niedriglöhnen nach Nordkorea statt nach China vergeben zu können. Und Nordkorea will seine starke wirtschaftliche Abhängigkeit vom roten Freund mindern.
Am Tag, an dem die New Yorker Zeitung Kaesong besuchte, stiegen 489 Südkoreaner am Morgen in Kaesong aus dem Bus. Ganz unbeschwert jedoch reisen sie nicht über die schwer bewachte Grenze: Der Angriff auf die Cheonan mache sie nervös, gaben sie dem Reporter zu Protokoll – obwohl der Bus vom Grenzübertritt bis zum Firmengelände auf einer eigens konstruierten, mit hohen Wänden geschützten Autobahn fährt. Der Kontakt zu den nordkoreanischen Mitarbeitern bleibe beschränkt, nur wenige offizielle Ansprechpersonen unterhalten sich mit den Chefs aus dem Süden. Die Unsicherheit sei gross, dass Nordkorea eines Tages plötzlich das gesamte Gelände schliesse, zitiert die NYT den Chef eines der Unternehmen. «Wir sind ein Pfand in einem politischen Spiel.»
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch