«Ich wollte diesen Staatsfeind einfach heiraten»
Nächste Woche wird der Friedensnobelpreis verliehen. Für manchen wurde die Ehrung zur Hypothek – etwa für die Frau des chinesischen Preisträgers Liu Xiaobo.

Die Frau lebt in Zwangsisolation im fünften Stock eines Wohnhauses in einem ruhigen Stadtteil von Peking. Ihr Vergehen: Sie ist verheiratet mit einem Friedensnobelpreisträger, den die chinesische Regierung als Verbrecher brandmarkt.
Seit der inhaftierte Dissident Liu Xiaobo die Auszeichnung vor knapp einem Jahr erhielt, lebt seine Frau das Leben einer Gefangenen: von der Aussenwelt abgeschnitten, von der Polizei überwacht, ohne Telefon- oder Internetanschluss, Besuche von Angehörigen sind streng reglementiert.
Von der Aussenwelt abgeschnitten
«Liu Xia ist komplett von der Aussenwelt abgeschnitten und führt ein einsames Leben in Unterdrückung», sagt die Pekinger Aktivistin Zeng Jinyan, die Frau eines anderen bekannten Dissidenten, der sich ebenfalls immer wieder Kontrollen und Schikanen ausgesetzt sieht. «Ich wage gar nicht daran zu denken, wie lange sie diese Qualen noch aushalten muss.»
Die Bekanntgabe des Friedensnobelpreisträgers am 8. Oktober vergangenen Jahres ist von chinesischen Dissidenten bejubelt worden. Viele Länder forderten Lius Freilassung. Peking reagierte indes empört, die Behörden gingen in den Wochen nach der Bekanntgabe verschärft gegen Dutzende seiner Anhänger vor, eine Verhaftungswelle folgte.
Liu darf keine Galionsfigur werden
In China ist es gang und gäbe, dass Angehörige von Regierungskritikern Repressalien ausgesetzt werden. Doch Lius Fall ist insofern anders, als dass er der erste Dissident ist, dem der Friedensnobelpreis verliehen wurde.
Indem die Regierung Liu Xia isoliert, will sie wohl auch vermeiden, dass der 51-Jährige Schriftsteller und Menschenrechtler zur Gallionsfigur der Aktivisten in China wird. Die Regierung wolle nicht, dass die Bevölkerung über das menschliche Schicksal des inhaftierten Lius nachdenke, sagt Wang Songlian, Mitglied der Menschenrechtsorganisation China Human Rights Defenders in Hongkong. Daher versuche Peking auch, die Erinnerung an dessen Frau auszulöschen.
Friedensnobelpreis-Komitee besorgt
Die harsche Behandlung Liu Xias verletzt chinesisches Recht und dürfte die schlimmste Repressalie sein, die ein Angehöriger eines Friedensnobelpreisträgers jemals zu erleiden hatte. «Soweit ich weiss, ist die Art und Weise, wie sie behandelt wird, beispiellos in der Geschichte des Friedensnobelpreises», sagt Geir Lundestad, Direktor des norwegischen Nobel-Instituts in Oslo und Sekretär des norwegischen Friedensnobel-Komitees. Das Komitee mache sich auch Sorgen um Liu Xiaobo, sagt Lundestad, da es seit Ende vergangenen Jahres keine Nachrichten über sein Befinden gebe.
Der Literaturkritiker Liu setzte sich für einen friedlichen Wandel in seinem Heimatland ein. 1989 beteiligte er sich an den Studentenprotesten auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking, deren gewaltsame Niederschlagung als Tiananmen-Massaker in die Geschichte einging. 2008 unterstützte er das Bürgerrechtsmanifest «Charta 08» zum Internationalen Tag der Menschenrechte. Für beide Aktionen wurde er zu Haftstrafen verurteilt, für letztere zu den elf Jahren Gefängnis, die er derzeit absitzt.
Liu Xiaobo und Liu Xias Beziehung begann Anfang der 1980er Jahre mit ihrer gemeinsamen Liebe für Literatur und Dichtung. Liu Xias Vater, ein hoher Finanzbeamter, hatte ihr einen Job beim Fiskus besorgt, den sie aber kündigte, weil sie mehr Freiheit wollte, wie der befreundete Autor Yu Jie in einem Essay über das Paar schreibt.
Umerziehung durch Arbeit
«Sie heirateten 1996, als er im Rahmen des Systems 'Umerziehung durch Arbeit' einsass, das der Regierung die Inhaftierung von Menschen ohne Anklage oder Prozess für mehrere Jahre ermöglicht. Nur als Verheiratete bekam Liu Xia Besuchsrecht. «Ich will diesen Staatsfeind einfach heiraten», hat sie laut Yu gesagt.
Liu Xiaobos Stellungnahme, die er 2009 in seinem Prozess abgegeben hatte, war auch eine Liebeserklärung an seine Frau: «Ich sitze meine Strafe in einem konkreten Gefängnis ab, während du im unfassbaren Gefängnis des Herzens wartest.»
Besuch im Gefängnis
Zwei Tage nach der Bekanntgabe des Friedensnobelpreises durfte Liu Xia ihn im Gefängnis besuchen. Sie erklärte danach, dass ihr Mann die Auszeichnung den Opfern des Tiananmen-Massaker widmen wolle. Laut Menschenrechtsorganisationen war es das letzte Mal, dass Liu Xia ihren Mann sehen durfte.
Liu Xiaobos Vater ist Mitte September gestorben. Ob er oder Liu Xia über dessen Tod Bescheid wissen, ist unklar. Lius Bruder habe ihn nicht benachrichtigen können, sagt ein enger Freund, der Schriftsteller Wu Wei.
Dennoch sieht auch er die Auszeichnung Lius mit dem Friedensnobelpreis als etwas Positives. «So wie Südafrika Mandela hatte und Burma Aung San Suu Kyi, so haben wir jetzt Liu Xiaobo», sagt Wu.
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch