Als wäre er unsterblich
Mexikos künftiger Präsident López Obrador hat im Wahlkampf versprochen, auf Leibwächter zu verzichten. Es scheint, als wolle er sich daran halten. Sicherheitsexperten sind entsetzt.

Eigentlich ist es ja ganz sympathisch: Andrés Manuel López Obrador, der am 1. Dezember das Amt als mexikanischer Präsident antritt, will nichts von Prunk und Pomp wissen. Die Insignien der Macht seien ihm gleichgültig, betont er. «Los de abajo» («Die von unten», oder besser: die Underdogs) heisst einer der berühmtesten Romane der mexikanischen Literatur, und als Underdog tritt auch der linke Politiker auf, den seiner Initialen wegen fast alle «Amlo» nennen.
Er spielt seine Rolle schon lange mit grosser Glaubwürdigkeit. Nachdem er 2006 zum ersten Mal für das Amt des Staatsoberhaupts kandidiert hatte und dabei nur knapp gescheitert war, reiste er als ewiger Wahlkämpfer immer und immer wieder durch Mexiko. Jede Einzelne der 2464 Gemeinden des Landes hat er besucht, von Los Algodones an der Grenze zu Kalifornien über Pueblo Nuevo, gelegen in der Sierra Maestra, bis Tapachula im tiefen Süden von Chiapas. Es gibt Fotos und Videoaufzeichnungen, auf denen López Obrador auf dem Hauptplatz irgendeines gottverlorenen Ortes bei strömendem Regen eine Rede hält, vor einem Dutzend unter einer Regenblache kauernden Einwohnern.
Bescheidenheit
Bevor er am 1. Juli 2018 beim dritten Anlauf zum Präsidenten gewählt wurde, hatte Amlo versprochen, anders zu sein als alle seine Vorgänger. Er werde das mexikanische Präsidentenflugzeug Donald Trump zum Kauf anbieten und in Linienmaschinen reisen. Er werde nicht in den Präsidentenpalast Los Pinos einziehen, sondern seine bescheidene Wohnung in Mexiko-Stadt behalten. Und er werde auf den «Estado Mayor Presidencial» verzichten: Das ist das militärische Organ, das für die Sicherheit des Präsidenten, seiner Familie und ausländischer Staatsbesucher zuständig ist.
«Amlo» will keine Leibwächter. Denn, so sagt er: «Mich beschützt das Volk.» Bei mehreren Auftritten während der absurd langen Übergangszeit vom Wahlsieg bis zum Amtsantritt hat «Amlo» betont, sich auch nach dem 1. Dezember an all die hehren Versprechen halten zu wollen.
Täglich 85 Morde
Aber als designierter mexikanischer Präsident ist López Obrador schon jetzt eine Figur, deren Schutz höchste Priorität geniessen sollte. Stattdessen kommt es immer wieder zu Szenen, wie sie kürzlich die spanische Zeitung «El País» schilderte: «Amlo» fährt in seinem bescheidenen VW Jetta vor, steigt aus, macht sich zu Fuss auf den Weg zu einem Treffen mit dem noch amtierenden Präsidenten, dem unbeliebten Enrique Peña Nieto. Wer immer sich ihm nähern will, kann das tun. Eine Frau bittet ihn um Arbeit, er spricht mit ihr, verabschiedet sich, indem er sie auf beide Wangen küsst. «El País» schreibt: «Sicherheitsexperten in Mexiko und im Ausland haben die Szene mit höchstem Erstaunen verfolgt.»

Im Durchschnitt werden in Mexiko täglich 85 Menschen ermordet, mit 25 Tötungsdelikten auf 100'000 Einwohner ist die Mordrate mehr als 25 Mal so hoch wie jene der Schweiz. Während des Wahlkampfes hat die Drogenmafia über 100 Kandidaten für lokale und regionale Ämter umgebracht, und während der letzten 13 Jahre sind drei mexikanische Innenminister bei Flugzeug- oder Helikopterabstürzen ums Leben gekommen. «In diesem Land hat López Obrador beschlossen, durch die Strassen zu gehen, als wäre er unsterblich», kommentiert «El País».
Nach López Obradors Amtsantritt soll der aus rund 2000 Elitesoldaten bestehende «Estado Mayor Presidencial» in die reguläre Armee integriert werden. Experten zweifeln allerdings daran, ob sich die Massnahme überhaupt umsetzen lässt. Denn die Sondereinheit ist auch für die Sicherheit ausländischer Staatsgäste verantwortlich. Ein bei einer ausländischen Botschaft angestellter Sicherheitsexperte sagte gegenüber «El País», er könne es sich schlicht nicht vorstellen, dass die mexikanische Regierung beim Besuch eines ausländischen Staatsoberhauptes oder Ministers auch nur das geringste Risiko eingehe.
«Sinnlose, egoistische Haltung»
Mit einem unkonventionellen Sicherheitsdispositiv hatte López Obrador schon Aufsehen erregt, als er zwischen 2000 und 2005 Bürgermeister von Mexiko-Stadt war. Damals bewachten und beschützten ihn sechs bewaffnete Frauen, die von der Bevölkerung «die Gazellen» genannt wurden. Bei grossen öffentlichen Auftritten des beliebten Bürgermeisters waren zusätzlich jeweils bis zu 300 Lokalpolizisten im Einsatz. Befehligt wurden sie von einer Frau namens Polimnia Romana.
Dem Druck, wonach er als Präsident seine physische Unversehrtheit nicht gefährden dürfe, hat López Obrador kürzlich ein wenig nachgegeben. Er wolle zehn Männer und zehn Frauen mit der Aufgabe betrauen. Sie seien aber unbewaffnet. López Obradors einstige Sicherheitsbeauftragte Romana betont, zwanzig Personen seien viel zu wenig. «Das Problem ist, dass er die Rolle des Kandidaten noch nicht abgelegt hat. Er will bei den Leuten gut dastehen und ist sich nicht bewusst, wie verantwortungslos seine Haltung ist.» Härter noch drückte es der FBI-Sicherheitsexperte Greg Shaffer aus: «López Obradors Entscheidung ist sinnlos und egoistisch. Seiner Volkstümlichkeit zuliebe gefährdet er alle seine Mitarbeiter und Begleiter.»
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