Aufstieg der St. Galler
Eine Studie zeigt, wie die alte Schweizer Wirtschaftselite zerfällt – und die HSG profitiert.
«Alpenfestung». So nennen die Autoren des Buchs «Schweizer Wirtschaftseliten» das Netzwerk, das die Nachkriegs-Schweiz beherrschte. Seine Mitglieder waren Schweizer Männer, meist Offiziere, Freisinnige, Ingenieure oder Juristen, oft verwandt.
Sie jassten die wichtigen Posten unter sich aus, die Firmenleitungen und Verwaltungsräte. Und sie schauten, dass Auswärtige draussen blieben: In den 60ern schlossen Bankiervereinigung und Unternehmen ein Abkommen, das ausländische Übernahmen und gewisse inländische Investoren ausbremste. Der Studie zufolge befanden sich 1980 unter den Spitzenmanagern der 110 grössten Schweizer Unternehmen gerade mal sieben Ausländer.
Zwei Erdbeben liessen die Alpenfestung einstürzen. In den 1990ern kam es zu einem Globalisierungsschub, das neoliberale Schlagwort hiess «schrumpfen und zerteilen». Gefragt waren Manager, die eine Firma so umbauen konnten, dass für Aktionäre rasch viel Geld abfiel. Die Beraterfirma McKinsey wurde zum «Sammelbecken der neuen Schweizer Elite», so die Wirtschaftshistoriker. Der Anteil ausländischer Manager in Spitzenpositionen stieg von 3,6 Prozent im Jahr 1980 auf 22,8 Prozent im Jahr 2000. Manager aus dem umliegenden Europa bezogen Büros in Zürich und Genf.
Das zweite Erdbeben folgte, als sich die Managements der Grossbanken und Pharmamultis komplett globalisierten. Nun wurden vermehrt amerikanische Topshots angeheuert; die Schweizer Elite musste weichen wie das Eich- dem Grauhörnchen. Der Ausländeranteil im Spitzenmagement stieg nochmals, auf 34,5 Prozent im Jahr 2010.
Als «etwas provinziell» belächelt
Mit der Alpenfestung kippten Pfeiler weg, die nicht nur die Wirtschaft, sondern die Schweizer Gesellschaft und Mentalität getragen hatten. Das Militär, die Wirtschaftsverbände, die klassischen Ingenieurs- und Jus-Abschlüsse, der enge Bezug zu Bundesbern – all das verlor rapide an Bedeutung. «Acht?», fragte CS-Boss Brady Dougan 2012 ironisch zurück, als er vom «Magazin» nach der Anzahl Bundesräte gefragt wurde.
Eine grosse Schweizer Profiteurin gabs allerdings, die HSG. Die einst als «etwas provinzielle und einspurig belächelte Handelsschule», so Studienautor Felix Bühlmann, benannte sich Mitte der 1990er zur Universität um und begann, gezielt ausländische Dozenten anzuwerben und internationale Rankings zu bewirtschaften. Sie offerierte jene praxisnahen Wirtschaftsstudiengänge, die ein Überleben in der globalen Elite versprachen.
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Video: «Ich kann besser boxen als die anderen Dozenten»
Wladimir Klitschko dozierte an der HSG über Change Management. (4.6.2015) Video: TA
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Lob auf den Filz
Mit ihrem ausgeklügelten Alumni-System, das Studenten mit Absolventen vernetzt, baut sie ihren eigenen Turm auf den Trümmern der Alpenfestung. Mittlerweile sei es der HSG gelungen, sich «zu einem weltweit wahrgenommenen Brand hochzufahren», schreibt der frühere HSG-Professor Franz Jaeger. 1980 hatten nur 3,3 Prozent der hiesigen Spitzenmanager in St. Gallen studiert, 2015 waren es 12 Prozent. Damit hat die HSG alle anderen Schweizer Hochschulen hinter sich gelassen – auch die ETH, noch unbestrittene Kaderschmiede zur Zeit der Alpenfestung.
Dieser Festung trauert niemand nach. Die Linke war ihr stets feindlich gesinnt, die SVP ist ohne den Untergang des alten Freisinns undenkbar, und die FDP selbst hat den Neoliberalismus längst innig umarmt. Und doch erscheint der freundeidgenössische Filz in günstigerem Licht als auch schon – heute, da amerikanische, chinesische oder russische Übernahmen quasi über Nacht möglich geworden sind. Die Historiker jedenfalls blicken auf die Verkäufe milliardenschwerer Familienbetriebe in den 2000er-Jahre und stellen nüchtern fest, die Bindung zwischen Unternehmern und ihren Firmen sei heute offenbar «weniger stark und dauerhaft».
Buchpräsentation «Schweizer Wirtschaftseliten, 1910–2010», 1. Februar, 19 Uhr, Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich
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