Not macht erfinderischAuf Kuba werden die Sportresultate gewürfelt
Die Kubaner sind ganz wild nach Baseball, doch jetzt steht auch ihr Nationalsport still. Und von E-Sports keine Spur im Offline-Land. Also fliegen statt der Bälle jetzt die Würfel.

Seit etwas mehr als zwei Monaten steht aufgrund der Corona-Pandemie in praktisch jeder Ecke der Welt die Sportwelt still. Onlinewettbewerbe und E-Sport, wohin man schaut: von Konsolen-Fussball über virtuelle Schachturniere bis hin zu Stabhochsprungwettkämpfen im heimischen Garten – live übertragen in alle Welt.
Auch auf Kuba wurden bereits vor Wochen alle Sportwettbewerbe ausgesetzt. Ob und wann die Meisterschaft im Nationalsport Baseball gestartet werden kann, steht in den Sternen. Doch E-Sport? Digitale Wettbewerbe? Im Offline-Land Kuba schwierig. Und trotzdem haben der Einfallsreichtum, die Kreativität und die ewige Baseball-Leidenschaft auf der Insel eine ganz eigene Baseball-Serie entstehen lassen: Statt virtuellem Sport an der Konsole werden Baseball-Ergebnisse ausgewürfelt und leidenschaftlich diskutiert.
«Die Idee unserer virtuellen Serie ist es, die Ergebnisse live und direkt zu ermitteln und dabei über Baseball zu reden», sagt TV- und Radio-Journalist Reynier Batista, der die Serie ins Leben gerufen hat. «Auf der ganzen Welt gibt es virtuelle Sportevents mit Resultaten, die von Computern generiert werden. Aber es gibt dabei keine Protagonisten, die die Emotion leben.» Deshalb lädt der 34-Jährige jedes Mal einen Gast ein: aktive Baseballspieler, Schauspielerinnen, Humoristen oder Journalistenkollegen. Erst die Gäste machen das Ganze lebendig, sagt Batista. «Es sorgt für Spannung, dass der Gast mit seinen Würfeln das Schicksal seiner Lieblingsmannschaft und aller anderen entscheiden kann.»
Ein Fünferpasch verliert
Die Regeln sind einfach. Die 16 Mannschaften der kubanischen Liga treten an 15 Spieltagen in Mini-Serien von drei Partien jeder gegen jeden an. Gespielt wird mit zwei Würfeln. Die höhere Punktzahl gewinnt. Die Doppel-Drei bedeutet automatisch Sieg, der Fünferpasch verliert. «Um der Sache etwas Würze zu geben», sagt Batista. Die acht besten Teams erreichen das Playoff, das im K.-o.-System ausgespielt wird, ebenfalls best of three. Es gibt Liveübertragungen auf Facebook und Youtube.

Zwischen den Würfen spricht Batista mit seinen Gästen über Baseball. «Wir wollen Baseball aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Die Idee ist nicht, dass uns die Gäste von ihrem Leben erzählen, es geht in erster Linie um Baseball.» Und das sei mehr, als ins Stadion zu gehen und sich ein Spiel anzuschauen. «Wenn man anfängt, sich mit den Leuten zu unterhalten, merkt man, dass es grossartige Anekdoten zu erzählen gibt.» Alte Rivalitäten kommen ans Licht, glorreiche Episoden aus der Vergangenheit und frühere Stars werden wiederbelebt. «Deshalb ist Baseball die Leidenschaft der Kubaner.» Und darüber zu reden helfe, in Corona-Zeiten diese Leidenschaft aufrechtzuerhalten.
Kürzlich war Yosvani Peñalver, einer der besten Spieler des Hauptstadtteams Industriales, zu Gast bei Batista. «Ich denke, es ist eine grossartige Idee, die uns in diesen Zeiten des Coronavirus aus der Monotonie herausholt», lobt Peñalver. Einen Sieg für sein Team konnte er nicht erwürfeln. «Zum Glück ist es nur ein Spiel», kommentiert er mit einem Lachen. «Aber es wirft Kontroversen auf, weil die Leute beginnen, die Ergebnisse der Spiele in die Realität zu diskutieren.»
Auch die Zuschauer gewinnen
Batista ist von der Resonanz des Publikums überrascht. «Die Leute folgen der Serie virtuell. Wir haben Nachrichten von Kubanern im Ausland erhalten, die nach dem Aufstehen erst mal nachschauen, wie ihre Mannschaft ‹gespielt› hat.» Die Zuschauer können sich zudem für ihre Lieblingsmannschaft registrieren lassen. Sollte die dann am Ende das Turnier gewinnen, kommen sie in einen Lostopf für verschiedene Preise. Das erzeugt zusätzliche Spannung.
Batista erklärt: «Wenn wir diese Art von Events sehen, die am Computer stattfinden, ist das alles sehr kühl, und die Fans sind weit weg von dem, was passiert. Bei uns fiebern die Anhänger, die der Übertragung folgen, bei jedem Würfelwurf mit und feuern per Facebook-Kommentaren ihre Teams an.» Die Würfel schaffen Interaktion und stellen den Menschen in den Mittelpunkt, sagt Batista – schon deshalb würde er nicht wollen, dass die Gäste die Partien auf einer Playstation ausspielen, sagt er. «Ich glaube, die Würfel sind eine ziemlich originelle Idee. Und warum den ganzen Spielprozess zu komplex machen? Das Interessante ist doch die Mischung aus Ergebnissen und was die Gäste zu erzählen haben. Sie sollen weiter mit Würfeln spielen!»
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