Auf der Brache geht alles, jedenfalls fast
In Biel wird das ehemalige Gurzelen-Stadion seit kurzem belebt. In Bern ist die Warmbächli-Brache zum Treffpunkt geworden. Was macht den Reiz von Brachen aus? Und wo liegen die Grenzen der Zwischennutzung?
Im ehemaligen Fussballstadion steht ein Zirkuszelt. Daneben im Halbkreis Wohnwagen. Der Cirque de Loin macht Station (siehe Kasten). Doch noch sitzt, wer kann, im Schatten. Es ist so heiss, dass die Stauden auf dem grossen Kartoffelfeld sich beugen. Junge Männer werkeln mit nacktem Oberkörper auf der Tribüne. Sie bauen eine Wasserrutschbahn. Eine Attraktion für das Brachenfest im Bieler Gurzelen-Stadion. Die Zwischennutzung soll offiziell eingeweiht werden.
Sie musste schliesslich auch erkämpft werden: Die Stadt Biel wollte das Stadion ursprünglich abreissen und das Gelände umzäunen, bis die weitere Nutzung geklärt ist. Angeleitet vom Architekturforum Biel, konnte eine Gruppe Anwohner die Stadt schliesslich davon überzeugen, dass eine Zwischennutzung auf drei Jahre begrenzt billiger ist. Dieses Wochenende sollen die Bielerinnen und Bieler kommen und schauen, was hier läuft.
Und seit Januar läuft viel: zum Beispiel ein kollektiver Garten, eine Kinderbaustelle, ein Webradio von Jugendlichen, Stadionlesungen mit jungen Autoren. Jeder soll die Brache nutzen können, da spielen und spazieren. Doch Projekte müssen bewilligt werden. Der Verein Terrain Gurzelen will ein Dossier sehen.
«Wir sind schon ein bisschen streng», sagt Roman Luterbach, der im Vorstand des Vereins sitzt. Ein grosses Konzert mit Tickets für 50 Franken? Geht nicht, zu teuer. Ein Rugbymatch von einem Club? Geht nicht, zu wenig Platz. «Wir möchten eher nicht kommerzielle Veranstaltungen», ergänzt Luterbach.
Weitab vom Zentrum
Die Gruppe des Cirque de Loin passt gut in dieses Konzept, auch wenn sie Eintritt verlangt, um von ihrer Arbeit leben zu können. Sie hat ihr Zelt auf dem «Gästesektor» aufgestellt, der wechselnden Projekten zur Verfügung steht. Die Gruppe um Regisseur Michael Finger, Schauspielerin Newa Grawit und Artist Noah Egli hat drei Wochen auf der Brache verbracht – und ist ernüchtert. «Wir sind da naiv reingeschossen», sagt Finger, «wir haben vor lauter Enthusiasmus alles reingepackt, was wir machen. Und nicht überlegt, dass das Gurzelen-Areal ein sehr neuer Platz ist.»
Der Cirque de Loin ist das erste Jahr im Zirkuszelt unterwegs, vorher hat die etablierte Gruppe Koproduktionen mit Theatern gemacht. Und hadert jetzt. Die Vorstellungen in Biel waren schlecht besucht, einige mussten gar abgesagt werden.
Tatsächlich liegt das Stadion weitab vom Zentrum, gut eingebettet im Quartier, aber zufällig kommt hier niemand vorbei. Von aussen ist die Brache fast nicht als solche zu erkennen. Vorstandsmitglied Luterbach gibt zu bedenken: «Cirque de Loin sind nicht von Biel, man kennt sie hier nicht. Und sie wollten unglaublich viele Vorstellungen spielen. Zudem ist die die Brache noch nicht so bekannt.»
Hoffen aufs Warmbächli
Nun hofft der Cirque de Loin auf Bern. Nächste Woche schlägt die Gruppe für eine Woche ihre Zelte auf dem Warmbächli auf. Das Warmbächli, wo einst die Kehrrichtverbrennungsanlage stand und wohl ab nächstem Jahr eine neue Siedlung entsteht, hat über ein Jahr Zwischennutzungserfahrung. Den Vertrag hat der Brachenverein mit der Stadt ausgehandelt.
Und es läuft gut und immer besser. Auch hier gibt es ein Gartenprojekt und einen Spielplatz. Und an den Wochenenden Veranstaltungen wie ein Bierfestival für Kleinbrauereien, das im Juni von Gästen überrannt wurde, oder ein Velocrossrennen wie morgen Sonntag.
Auf dem Warmbächli herrschen weniger strenge Regeln als im Gurzelen-Stadion. «Wir haben von Anfang an darauf geachtet, dass wir so wenig Vorgaben wie möglich machen», sagt Vereinspräsident Christian Walti, «so können immer neue Ideen entstehen, praktisch alles ist möglich.» So wird auch der freiwillig arbeitende Vorstand entlastet. Anlässe für bis zu 40 Personen müssen nicht bewilligt werden. Man kann spontan eine Lesung halten oder ein kleines Geburtstagsfest veranstalten.
Die Brache ist rund um die Uhr geöffnet – was gegenüber den Behörden erst durchgesetzt werden musste. Und Street-Art ist offiziell erwünscht. Manche Graffiti bleiben länger, andere werden früher wieder mit neuen übermalt. «Unsere wichtigsten Regeln sind: Nichts kaputt machen und die Brache sauber halten», sagt Walti. So ist man beim Warmbächli gut gefahren, hatte kaum Konflikte und konnte dafür sorgen, dass das Klima offen blieb.
Graffiti oder nicht?
Biel arbeitet mit mehr Regeln: Auch wenn der Verein das Areal rund um die Uhr öffnen möchte, gibt die Polizei Schliessungszeiten vor. Und der Vereinsvorstand hat Graffiti verboten. «Das mag komisch klingen, aber wir finden das Stadion schön, so wie es ist. Es gibt genügend Kulturzentren, die versprayt sind. Wir müssen nicht gleich aussehen», sagt Roman Luterbach.
Im Verein Terrain Gurzelen arbeiten alle freiwillig. Verständlich, dass sie auch die Regeln mitgestalten. Wie beim Warmbächli geht es dem Verein darum, dass die Leute selber Ideen entwickeln und umsetzen. Der Verein gibt nur die Rahmenbedingungen vor. Was daraus entsteht, liegt bei den Leuten. Und der Zeit.
Sommerfest auf dem Gurzelen-Areal in Biel: Samstag und Sonntag ab 15 Uhr. www.terrain-gurzelen.ch. Mehr Infos zum Warmbächli: www.brache.ch.
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