Anwalt: Mubarak ist noch immer Präsident
Vergangenheitsbewältigung eines Despoten: Während das politische Leben im Land am Nil allmählich wieder in Gang kommt, erhält der Prozess gegen den Ex-Präsidenten eine bizarre Note.

Der vor fast einem Jahr gestürzte ägyptische Präsident Hosni Mubarak ist nach Auffassung seines Anwalts formal gesehen noch immer im Amt und sollte deshalb von den Anklagen gegen ihn freigesprochen werden. Mubarak muss sich gemeinsam mit seinem Sicherheitschef und vier Polizeikommandeuren wegen des Todes von rund 850 Demonstranten während des 18 Tage dauernden Aufstands im Februar vor Gericht verantworten.
Mubarak sei nicht formal zurückgetreten und sollte deshalb Immunität vor Strafverfolgung geniessen, sagte sein Anwalt Farid al-Deeb heute vor Gericht. Während er dafür von den anderen Verteidigern Beifall erhielt, reagierten die Anwälte der Opfer mit Gesängen, in denen sie die Hinrichtung Mubaraks forderten.
Islamistische Koalition unwahrscheinlich
Während die Anwälte des fast 84-Jährigen den Prozess zu verzögern versuchen, kommt das politische Leben allmählich wieder in Gang. Gestern standen endlich die offiziellen Ergebnisse der langwierigen Wahlen fest. Demnach haben islamisch geprägte Parteien fast drei Viertel der Mandate gewonnen. Wie die Wahlkommission in Kairo mitteilte, gewann ein Parteienbündnis unter Führung der Muslimbruderschaft 235 der insgesamt 498 Sitze, die ultrakonservative al-Nur-Partei kam auf 125 Sitze. Eine Koalition zwischen den beiden gilt wegen ideologischer Differenzen als unwahrscheinlich.
Die al-Nur-Partei setzt sich etwa für die Einführung islamischen Rechts ein. Die Muslimbruderschaft, die am besten organisierte politische Bewegung des Landes, hat angekündigt, ihr Weltbild und ihre Vorstellung von einer angemessenen islamischen Lebensweise nicht anderen aufzwingen zu wollen. Beide Organisationen haben eine lange Tradition von Sozialarbeit in ärmlichen Stadtteilen und ländlichen Gegenden. Ausserdem verhalf ihnen ihre langjährige Unterdrückung unter dem Mubarak-Regime zu grosser Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung.
Liberale stehen hinten an
Im Gegensatz zu den islamischen Parteien erlangten die liberalen Parteien und Kräfte im Land wegen ihrer organisatorischen Defizite weniger Stimmen. Sowohl die von dem christlichen Geschäftsmann und Multimillionär Naguib Sawiris (dem Bruder von Samih Sawiris, der in Andermatt ein Ferienresort baut) gegründete Partei Freier Ägypter als auch die älteste weltliche Partei des Landes, die Wafd, erzielten jeweils nur etwa neun Prozent der Sitze.
Gerade die Wafd hatte sich dem alten scheindemokratischen System stets angepasst und sicherte sich so die Position als einzige relevante Kraft neben der Mubarak-Partei NDP. Dafür dürfte sie nun von den Wählern abgestraft worden sein. Auch der steinreiche Sawiris wird als profiteur des alten Systems angesehen.
Berühmter christlicher Blogger kommt frei
Das neue Abgeordnetenhaus kommt morgen Montag zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Daran nimmt auch der Vorsitzende des regierenden Militärrats, Hussein Tantawi, teil. Die Wahl war die erste seit dem Umsturz vor einem Jahr. Das neu gewählte Parlament wird ein Komitee ernennen, das sich mit der Ausarbeitung einer neuen Verfassung befassen wird. In drei Wahlgängen wählten die Ägypter in verschiedenen Teilen des Landes seit Ende November die neue Volksvertretung. Im Sommer sollen Präsidentschaftswahlen abgehalten werden.
Gute Nachrichten erreichen den Blogger Maikel Nabil, der seit Monaten in Haft sitzt. Die ägyptische Militärjustiz hat den wegen seiner Kritik an der Armee inhaftierten Blogger begnadigt. Diese Entscheidung sei anlässlich des ersten Jahrestags der Revolution am 25. Januar in Ägypten getroffen worden. Wie die Nachrichtenagentur AFP aus Justizkreisen erfuhr, sollen neben Nabil noch mehr als 1950 weitere Häftlinge freikommen.
Nabil war begleitet von Kritik aus dem Ausland im April von einem Militärgericht wegen Beleidigung der Streitkräfte zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Er hatte in seinem Blog geschrieben, die seit dem Sturz des langjährigen Machthabers Hosni Mubarak regierende Armee schütze ihre eigenen Interessen und nicht die des Volkes. Ein Berufungsgericht verkürzte seine Strafe später auf zwei Jahre.
dapd/sda/ami
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