Champions League: Villarreal - BayernSie lockten ihn mit einem Irrsinnsgehalt – er blieb in der Provinz
Als Spieler konnte er sich nie entscheiden, als Trainer von Villarreal hat Unai Emery zuletzt Juventus aus der Champions League geworfen. Nun wartet mit Bayern die nächste grosse Hürde.

Sein Jubiläum am Samstag, das hundertste Spiel als Trainer von Villarreal, dürfte sich Unai Emery anders vorgestellt haben. Oder doch nicht? Acht Mal ist Villarreal in dieser Saison in der Champions League angetreten. Sieht man von den Liga-Siegen vor den Achtelfinalpartien gegen Juventus Turin ab, so gingen vor den Königsklassen-Abenden die Generalproben in der Primera Division meist daneben. Und diese Punktverluste entstanden nicht nur gegen Spitzenclubs wie Atlético, Real Madrid oder Sevilla, sondern auch in Duellen mit der Laufkundschaft der Liga. Gegen Mannschaften wie UD Levante, das als vormaliger Tabellenletzter am Samstag gegen Villarreal 2:0 gewann.
Fast möchte man meinen, dass bei Villarreal zutraf, was jede Mannschaft stets zu verneinen versucht: dass alle schon das bevorstehende Champions-League-Spiel im Kopf hatten. Im aktuellen Fall: den Viertelfinal am Mittwoch (21 Uhr) gegen Bayern München im 23’500 Zuschauer fassenden Estadio La Cerámica der 50’000-Einwohner-Stadt Villarreal, in der Nähe von Valencia.
Auch Trainer Emery (50) gab vor der Partie gegen Levante zu, dass er die jüngste Länderspielpause dazu genutzt habe, um sich eingehend dem Studium der Bayern zu widmen. «Wenn man sich ihre Zahlen, Namen und die Geschichte anschaut», sagte Emery dem Radiosender Cadena SER, dann könne man zu den Münchnern nur aufschauen: «Sie sind bewunderungswürdig, auch eine Referenz, um sich etwas abzuschauen», und ohne Frage «der klare Favorit.» Aber: «Es gibt Argumente, mit denen wir arbeiten können.» Eines davon heisst: Unai Emery.
Das ausgeglichenste Kader
Seit 15 Jahren ist Emery Erstligatrainer. Sein Weg führte ihn, nachdem er beim FC Lorca als Spielertrainer eingestiegen war, über UD Almería, Valencia, Spartak Moskau, Sevilla, Paris Saint-Germain und Arsenal im Sommer 2020 nach Villarreal. Zurzeit ist er in der Liga nur Tabellensiebter – eindeutig zu wenig, gemessen daran, dass es kaum ein Kader in Spanien gibt, das auf einem so hohen Niveau so ausgeglichen ist wie jenes von Villarreal. Dafür bürgen Regisseur Dani Parejo oder aktuelle Nationalspieler wie Gerard Moreno, Pau Torres oder Yeremi Pino. «Wir müssen unser emotionales Gleichgewicht wiederfinden», sagte Emery am Samstag. Seines ist intakt.
Das liegt auch daran, dass sein Weg als Trainer mit Titeln gesäumt ist, die er nicht nur mit «kleinen» Clubs holte. Mit PSG errang er sieben nationale Trophäen, vor allem aber gewann er mit dem FC Sevilla drei Mal hintereinander die Europa League (2014 bis 2016). Dieselbe Trophäe stemmte Emery im vergangen Sommer dann auch mit Villarreal in die Höhe, nach einem epischen Elfmeterschiessen im Final gegen Manchester United.

Es folgten bemerkenswerte Siege in der aktuellen Champions-League-Saison, und vor allem die lassen seine Wegbegleiter nun raunen, Emery habe in Villarreal berufliche Vollkommenheit erreicht. Er lese Spiele besser denn je, heisst es – was nicht nur daran liegt, dass er seit einigen Jahren Brille trägt.
«Ich hatte vorab den Matchplan für das Rückspiel gegen Juventus gesehen», sagt ein Mitarbeiter, der bittet, nicht namentlich zitiert zu werden, «und ich schwöre: Es ging komplett auf.» Wie der Plan aussah? Lange Zeit wusste man nicht, ob Villarreal sich selbst oder den Gegner sedieren wollte. «Das Spiel kontrollieren und mit der Angst des Favoriten Juve spielen», das sei die Taktik gewesen. Mit der Einwechslung von Stürmer Gerard Moreno (74. Minute) kam dann ein von langer Hand geplanter Rhythmuswechsel, der Juventus paralysierte. Nach dem 1:1 aus dem Hinspiel sorgten die Treffer von Gerard (78.), Pau (86.) und Danjuma (90.+2) für den klaren 3:0-Sieg – und für die Klagen des Turiner Trainers Massimiliano Allegri über das rückwärtsorientierte Spiel von Villarreal.
Faible für die maximale Kontrolle
Ein Faible für maximale Kontrolle kann man Emery nicht absprechen. Das erklärt auch sein Coaching an der Seitenlinie, das immer noch so ausufernd gestenreich ist, dass man eigentlich kaum glauben mag, er habe sich selbst nun stärker unter Kontrolle – obwohl das stimmt. Küchenpsychologisch könnte man hinter Emerys Liebe zur Kontrolle auch eine Art der Vergangenheitsbewältigung erkennen.
Er selbst hat immer wieder mal anklingen lassen, zu seiner aktiven Zeit als Profi nur deshalb lediglich zu einer Handvoll Erstligaspielen gekommen zu sein, weil er sich nicht getraut hatte, auf dem Feld Entscheidungen zu treffen. Heute nimmt er seinen Spielern diese Entscheidungen ab: Er ist ein interventionistischer Trainer. Aber dass er dabei defensiv ausgerichtet ist, das würde Emery bestreiten. Mit Daten.
Es gibt eine Reihe von Stürmern, die unter Emery ihre jeweils erfolgreichsten Spielzeiten hatten, zum Beispiel David Villa (Valencia), Álvaro Negredo (Sevilla), Pierre-Emerick Aubameyang (Arsenal) und Edinson Cavani (PSG). Bei Villarreal geht es jetzt auch und vor allem darum, Gerard Moreno in Szene zu setzen. Er war in der Vorsaison mit 23 Toren der beste spanische Stürmer – und wurde nur deshalb nicht als Torschützenkönig ausgezeichnet, weil noch ein gewisser Lionel Messi in Barcelona spielte.

Solche Erfolge machen Emery weiterhin auch für nicht-spanische Clubs interessant, obwohl seine Auslandserfahrungen bisher durchwachsen waren. Bei Spartak Moskau musste er nach wenigen Monaten gehen, in Paris verpasste er (wie alle seine Nachfolger) den von den Eignern aus Katar geforderten Champions-League-Sieg. Und an allen Stationen ausserhalb Spaniens ging ihm das Vehikel Sprache ab. Weil er in Ondarribia geboren wurde, nahe der französischen Grenze, war er davon überzeugt, dass sein Schulfranzösisch reichen würde, um in Paris zu bestehen, was gewagt war.
In England wurde er für seinen Akzent belächelt. Das erschwerte die Aufgabe, bei Arsenal seinen Vorgänger Arsène Wenger vergessen zu machen – zumal Emery dort eine ganze Achse an Führungsspielern wie Petr Cech, Laurent Koscielny, Aaron Ramsey oder Nacho Monreal verlor. Das Vakuum in der Kabine konnten – oder wollten – Spieler wie Shkodran Mustafi, Mesut Özil oder Aubameyang nicht füllen. Es ist aber vielleicht auch kein Zufall, dass keiner von ihnen heute noch bei Arsenal ist.
Emery selbst ist auf der Insel dennoch ein Thema geblieben. Ende 2021 lockten ihn die neuen saudischen Besitzer von Newcastle United mit einem Irrsinnsgehalt. Doch noch ehe sich Emery mit dem Patron des FC Villarreal, dem Keramik-Multimilliardär Fernando Roig, austauschen konnte (und ihn fragen konnte, ob er an einer etwaigen Ablöse interessiert wäre), wurde der Trainer nach einem Spiel überrumpelt. Die Nachricht vom Newcastle-Interesse war, angeblich ohne sein Zutun, an englische Medien durchgesickert. Emery wollte es allen recht machen und eierte herum, was den Anschein erweckte, als stelle er sich auf seinen Abschied ein. Doch Roig sagte «No», das Thema war vom Tisch. Einen neuen Vertrag – der aktuelle läuft bis 2023 – hat Emery bisher nicht ausgehandelt.
Hilfe für einen Drittliga-Verein
Die Episode bedeutet allerdings nicht, dass Emery nicht auch sentimental sein kann. Im Vorjahr wurde er mit seinem Bruder Igor Hauptaktionär bei Real Unión Irún, einem drittklassigen Verein aus seiner baskischen Heimat, der Gründungsmitglied der spanischen Liga war und (inklusive Vorläuferclubs) vier Pokale gewonnen hat, letztmals 1927. Emerys Opa Antonio wurde als Torhüter – genannt «el Pajarito», «das Vögelchen» – zur Legende, er kassierte 1928 das erste Tor der Liga-Geschichte; und auch sein Vater Juan spielte dort.
Es gehe ihm nicht um eine Rückkehr zu alten Erstligazeiten, sondern darum, Ausbildungsmöglichkeiten und soziale Anlaufstellen für Jugendliche zu schaffen, sagte Emery zu seinem Engagement bei Irún. Auch sein Hotel in Ondarribia und seine beiden Restaurants in Valencia und Madrid folgen der Idee, Arbeitsplätze zu schaffen.
Seinen wahren Traum jedoch formulierte Unai Emery dieser Tage in diversen Interviews: «die Champions League zu gewinnen». Der Weg dorthin führt in diesem Jahr unweigerlich über Bayern München.
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