Als der Letzte zur Guillotine schritt
Vor vierzig Jahren wurde in Frankreich der letzte Verurteilte durch die Guillotine hingerichtet. Der dramatische Moment trug dazu bei, dass die Todesstrafe danach abgeschafft wurde.

Die Untersuchungsrichterin Monique Mabelly war alles andere als begeistert, als sie den Auftrag erhielt, die Hinrichtung des zum Tode verurteilten Mörders Hamida Djandoubi zu überwachen und darüber einen Bericht zu schreiben.
Das neunseitige, von Hand geschriebene Protokoll von jenem 10. September 1977 ist erst vor kurzem publik geworden. Es zeugt von dem Malaise, das die Frage der Todesstrafe in Frankreich bis heute bewirkt.
Protokoll aus dem Gefängnis
Es ist 4.40 Uhr, als der Verurteilte in seiner Zelle im Marseiller Gefängnis Baumettes geweckt wird. In den Gängen haben die Wächter braune Tücher ausgelegt, um die Schritte zu dämpfen.
«Niemand spricht. Das Schweigen und die offensichtliche Folgsamkeit des Verurteilten beruhigen die Anwesenden», hält die Richterin fest. Djandoubi, ein 28-jähriger Landarbeiter, der eine Minderjährige zur Prostitution gezwungen, gefoltert und erwürgt hatte, trägt Handschellen und wird an einen Tisch gesetzt.
Dort steckt man ihm ein Zigarette in den Mund, auf die er nach französischem Gewohnheitsrecht Anspruch hat. An seinem Bein trägt er seit einem schweren Arbeitsunfall eine Prothese. Die Amputation habe ihn psychisch völlig aus der Bahn geworfen, hatten seine Anwälte während der Verhandlung plädiert – allerdings erfolglos, wurde Djandoubi doch von den Geschworenen einstimmig zur Höchststrafe verurteilt.
Eine letzte Zigarette
«Der Verurteilte raucht, ohne ein Wort zu sagen», schreibt Mabelly. «Sein Gesicht ist recht hübsch, auch wenn er sehr bleich ist und Augenringe hat.» Als er sich über zu enge Handschellen im Rücken beklagt, werden sie ihm abgenommen.
Der Tunesier erhält eine zweite Zigarette. Jetzt ändert sich etwas, stellt Mabelly fest: «Ich sehe, dass er wirklich zu realisieren beginnt, dass es zu Ende geht, dass sein Leben nur noch diese Zigarettenlänge dauern wird.»
«Höre ein dumpfes Geräusch»
Nun bringt ein Gefängniswärter allerdings noch eine Flasche Rum und bietet dem Verurteilten ein halb volles Glas an, wie die Richterin festhält. «Er trinkt langsam, mit kleinen Schlucken. Als letzten Verzögerungsversuch bittet er um eine filterlose Zigarette, eine Gauloise oder eine Gitane.» Doch jetzt hat der Henker genug: «Wir waren schon sehr nett mit ihm, sehr menschlich – jetzt müssen wir abschliessen.»
Dem Verurteilten werden die Hände wieder gebunden, sein Hemdkragen wird abgeschnitten. Eine Türe öffnet sich. Dahinter steht die «Maschine», wie die zunehmend aufgebrachte Richterin feststellt.
Sehr rasch wird der zum Tode Verurteilte auf die Guillotine gelegt, ja fast geworfen und das Fallbeil aktiviert. «Ich höre ein dumpfes Geräusch», schreibt die Frau, die sich abgewandt hat, um später zu notieren, da sei «Blut, viel Blut, sehr rotes Blut».
Gnadenakte abgelehnt
Die 1977 vollzogene Hinrichtung war die bisher letzte in Frankreich. Mehrere Mörder wurden in der Folge noch verurteilt, aber nicht mehr guillotiniert. Staatspräsident Valéry Giscard d'Estaing verwandelte noch drei Todesurteile in lebenslange Haftstrafen.
Bei Djandoubi lehnte er wie zuvor bei dem bekannten Mörder Christian Ranucci – der die Ermordung eines Mädchens bestritt – jeden Gnadenakt ab. Die Meinung der Öffentlichkeit, die sich während Djandoubis Prozesses noch zu 61 Prozent für die Todesstrafe ausgesprochen hatte, begann nicht zuletzt wegen der Exekutionsberichte zu schwanken.
Debatte dauert an
1981 wurde die Guillotine ganz eingemottet, als der Sozialist François Mitterrand Präsident wurde. Nach einer flammenden Rede seines Justizministers Robert Badinter schaffte die Nationalversammlung die Todesstrafe mit 363 gegen 117 Stimmen ab.
Die Debatte geht bis heute weiter. Giscard (91) erklärte 2010, er bedaure nicht, Gnadenakte verweigert zu haben. Djandoubi habe nach Ansicht des Gerichts eine «soziale Gefahr» dargestellt, und von der Schuld Ranuccis sei er bis heute überzeugt. Der Ex-Präsident erklärte auch, er hätte die Todesstrafe aus Gründen der Abschreckung bei Kindsmördern «wahrscheinlich» beibehalten, wenn er 1981 die Wiederwahl geschafft hätte.
In Umfragen ist die Zustimmungsrate für die Todesstrafen zeitweise auf unter 50 Prozent gesunken. Heute spricht sich wieder eine knappe Mehrheit für die Wiedereinführung bei Terror- oder anderen Taten aus. Politisch hat sie keine Chance.
Auch die Rechtsextremistin Marine Le Pen verzichtete im Präsidentschaftswahlkampf 2017 auf ihre ursprüngliche Forderung und verlangt nur noch eine «wirklich lebenslange» Inhaftierung. In Interviews hat sie ein Volksbegehren zur Wiedereinführung der Guillotine aber nicht ausgeschlossen.
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