Aufstieg der FeministinAls Alice Schwarzer zur öffentlichen Person wurde
Der TV-Film «Alice» konzentriert sich auf die frühen Pioniertaten Alice Schwarzers. Unangenehme Details werden den Zuschauern damit gänzlich erspart.

Da sitzt sie also, die 32-jährige Alice des Jahres 1975, in der Garderobe des Westdeutschen Rundfunks und ist fast schon berühmt. Die Maskenbildnerin pinselt noch ein bisschen, die Redaktionsassistentin drängt zum Aufbruch. «Noch fünf Minuten», verfügt Alice (Nina Gummich). «Wie können Sie so ruhig bleiben?», wundert sich die Make-up-Frau. Und Alice, mit eiskalter Gelassenheit: «Keine Sorge. Wir haben Zeit.»
Soll sie mal hübsch im Studio sitzen und warten, die andere Frau mit den dümmlichen Ansichten (Katharina Schüttler als Esther Vilar). Die Autorin des Bestsellers «Der dressierte Mann», in dem behauptet wird, nicht die Frauen würden von den Männern unterdrückt – sondern umgekehrt! Der Alice vor laufender Kamera entgegenschleudern wird, man müsse in diesem Buch das Wort «Frau» nur durch «Jude» oder «Neger» ersetzen und käme direkt bei Stürmer raus. Doch erst müssen sich die beiden noch begegnen und Hände schütteln, und da schaut die kunstvoll verspätete Alice an ihrer Gegnerin herunter und sagt tödlich gelangweilt: «So sehen Sie aus?» Spätestens jetzt will man den Bordeaux entkorken.
Das Streitgespräch mit Esther Vilar war eine öffentliche Vernichtung
Das Streitgespräch Alice Schwarzer kontra Esther Vilar, ausgestrahlt am 14. Januar 1975 zur Weiberfastnacht, war ein TV-Event. Eine Vernichtung vor laufender Kamera, obwohl es nicht alle Zuschauerinnen und Zuschauer damals so empfanden. Schwarzer hatte die Emanzen-Nische danach hinter sich gelassen und war eine öffentliche Person. Die Frauenbewegung feierte, Verlegerköpfe ruckten hoch. Und «Bild» schrieb: «Alice mit hohen Stiefeln, schwarzem Rock und unter dem Pony dem stechenden Blick durch die grosse Brille: So hat früher im Märchen die böse Hexe ausgesehen.»
Der ARD-Zweiteiler «Alice» (Regie: Nicole Weegmann) läuft auf dieses historische TV-Duell zu. Man weiss schon, was kommen wird, und eben drum, und weil man die Dramatis personae zuvor ausführlich kennen und mögen gelernt hat, beisst man vor Spannung ins Kissen.

Es ist aber noch mehr im Spiel, was nichts mit guter Dramaturgie zu tun hat, nichts mit der Tatsache, dass eine berühmte Deutsche am 3. Dezember den 80. Geburtstag feiert und jetzt halt mal öffentlich-rechtlich abgefeiert wird. Und das ist Alice Schwarzer selbst: Pionierin, Kämpferin, Spalterin, Egomanin bis ins Mark. Die Reinhold Messner des Feminismus. Unmöglich, ihr gleichgültig gegenüberzustehen.
Alice Schwarzer, das ist für Frauen jenseits der fünfzig was Persönliches. Weshalb – und das wäre schon mal mehr, als sich von den meisten historischen Fernsehstoffen sagen liesse – der innere Dialog zur Spielhandlung immer mitläuft. Hätte man selbst diesen Mut gehabt, die Häme ausgehalten? (Nie im Leben.) Wie viel verdankt man ihr, heute, als Frau? (Wahrscheinlich mehr, als einem bewusst ist.) Was ist das persönliche Alice-Mischungsverhältnis zwischen Bewunderung und Enttäuschung? (70:30, ungefähr.)
Viel Unangenehmes lässt der Film aus und macht es sich damit etwas leicht
Der Film (Drehbuch: Daniel Nocke, Silke Steiner) umspannt knapp zwei Jahrzehnte, von den Anfängen der Frauenbewegung in Paris bis zur ersten gedruckten Ausgabe der «Emma» am 26. Januar 1977. Nicht in diese Zeit fallen: die Werbekampagne für «Bild», die Berichterstattung über den Kachelmann-Prozess, die Verurteilung wegen Steuerhinterziehung, die Attacken auf den Islam, die Giftpfeile auf junge Feministinnen, Scharen davongaloppierender «Emma»-Mitarbeiterinnen.
Erzählt wird, wie Alice Schwarzer 1970 die Titelgeschichte des «Nouvel Observateur» unterstützt, in der 343 Französinnen bekennen, abgetrieben zu haben, und die gleiche Geschichte ein Jahr später mit dem «Stern» durchzieht. Dann das Streitgespräch mit Esther Vilar, gefolgt vom Bestseller «Der kleine Unterschied und seine grossen Folgen» (1975), der in zwölf Sprachen übersetzt wird. Schliesslich bringt sie die erste feministische Zeitschrift in Deutschland an den Kiosk. Interviews und Begegnungen mit Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir, Rudolf Augstein, Henri Nannen (schön schmierig: Sven-Eric Bechtolf) und Romy Schneider rauschen hinein in diese Biografie, die auch ein Stück deutsch-französischer Geschichte ist.
Irgendwann gesteht sie ihrem Bruno, dass sie sich in eine Frau verliebt hat.
Dass aus alldem keine Heiligsprechung wird, verdankt der Film seiner grossartigen Hauptdarstellerin. Nina Gummich sieht der jungen Alice tatsächlich ein wenig ähnlich, vor allem aber hat sie die Vorlage bis in die feinsten mimischen und gestischen Verästelungen drauf: das störrisch hochgereckte Kinn, die durchaus berechnende Koketterie, das Herumtätscheln auf fremden Armen (eine Machtdemonstration, na klar), die eruptiven Wortkaskaden, die schmallippige Verächtlichkeit, wenn eine mal weniger gut und kompromisslos ist als sie.
Auch eine Liebesgeschichte
Es sind aber besonders die leisen, zarten Momente, die nachklingen, und da ist es eben so, dass Alice auch eine Liebesgeschichte erzählt. Gleich in der ersten Szene lernt sie am Strand den Franzosen Bruno Pietzsch kennen (Thomas Guené), mit dem sie in Paris ein Appartement bezieht, eine Katze anschafft und zehn Jahre zusammenbleibt.
Wie sie im Wohnzimmer auf Strümpfen mit ihm tanzt, den Kopf an seiner Schulter, ihn mit ihren Feministinnen zum Shoppen schickt, wie sie ihm bei einer Fahrt übers Land schliesslich mit wackelnder Stimme gesteht, dass sie sich in Berlin in eine Frau verliebt hat, ihn also verlässt und ihm damit das Herz bricht: Das passt so gar nicht zu dem Bild, das die Öffentlichkeit von ihr hat. Ein Bild, dessen Malerin sie auch selber ist.
Alice. Am Mittwoch, 30. November um 20.15 Uhr auf ARD.
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