«Alles leuchtet»
Ein einfacher Song genügt nicht mehr: Fernab vom Mainstream schafft Rea Dubach Klangwelten, die ihr Lebensgefühl reflektieren. Unterwegs ist sie in ganz Europa. In Bern tauft sie heute ihr erstes Soloalbum.

Das Novemberlicht hat an diesem Nachmittag etwas hartes. Es taucht den mit allerlei Instrumenten überstellten Raum in Nidau an der Zihl in ein Zwielicht. Das alte Haus war einst eine Werkstatt. Heute ist es Rea Dubachs Atelier, ausgestattet mit Möbeln aus dem Brocki. Sie serviert Espressi aus einer Bialetti-Kanne. Dazu gibt es Leitungswasser.
Rea Dubach gehört zu einer Generation von Musikerinnen und Musikern, die, fernab vom Mainstream, das heutige Lebensgefühl vertonen. Die Welt ist jederzeit greifbar, der Lärm der Welt ist omnipräsent und abspielbar.
Musikstile, Sparten, Ursprünge vermischen sich wie nie zuvor. Die Technik macht alles für jeden möglich. Ein einfacher Song genügt nicht mehr, um dem allem eine Form zu geben. Es braucht neue Wege. Rea Dubach sucht nach ihnen.
Das Bandgefühl
Solchen musikalischen Auslotungen bietet das Saint-Ghetto-Festival eine Plattform (siehe Box). Rea Dubach wird dort ihr erstes Solowerk taufen. Es heisst «Gói» und ist... na ja, was ist es? «Gói» besteht aus Klangwelten, aus vertonten Naturbildern und Seelenlandschaften. Es sind arrangierte und komponierte Geräusche aus der Natur, eingespeiste Samples, Rhythmen, dazu ein zarter, melancholischer, manchmal flehender Gesang.
Das Licht im Atelier schwindet. Drinnen wird es grau. Rea Dubach sitzt an einem kleinen Tisch, der aus einem alten Schulzimmer stammen könnte. Sie dreht sich eine Zigarette. Während sie erzählt, schaut sie immer wieder aus dem Fenster.
Rea Dubach ist 27 Jahre alt und gibt seit fast zehn Jahren europaweit Konzerte, hat etliche Preise gewonnen. Darunter etwa den Coup de cœur des Kantons Bern 2017. Sie hat in einem halben Dutzend Formationen mitgewirkt, spielte etwa mit Django Bates, Julian Sartorius, Shazhad Ismaily, Strotter, Hans Koch,Manuel Troller.
In Duos, Trios, Quintetten, mal Garagenrock, mal Jazz und mal Klassik. Einst vertonte sie mit der Band Sìd die nordische Schöpfungsgeschichte. Sehr bald schon bewegte sich Rea Dubach nur noch im Bereich der Avantgarde, der experimentellen Musik, verliess bekannte, geordnete Formen.
Quelle: Youtube/BlauBlau Records
Ihren Weg in die Musik, oder in die Kunst, benennt sie so: «Ich brauchte immer einen Grund zum Sein.» Was sie damit meint, ist, dass sie schon als Kind Tänzerin werden wollte. Sie ist in einer Musikerfamilie in Büren aufgewachsen. Ihr Vater war Gitarrist. Mit 11 Jahren strebte sie eine Profikarriere an. Doch schon bald kam sie an ihre gesundheitlichen Grenzen. Heute spricht sie von Erschöpfung und dann von einer Leere, als das Tanzen plötzlich weg war.
Irgendwann liess sie sich von ihrer Schulkollegin überreden und nahm Gesangsunterricht. Ab da gab es nur noch die Musik. Am Gymnasium Hofwil in Münchenbuchsee landete sie im Talentförderprogramm. An der Jazzschule Bern studierte sie Gesang und Jazzkomposition. Der Gesangskünstler Andreas Schaerer war einer ihrer wichtigsten Mentoren.
Der Abschluss ist vier Jahre her. Seither lebt sie von ihrer Musik. Mit Konzerten, Engagements für Filmmusik oder Theaterstücke hält sie sich über Wasser, lebt günstig in einer Bieler Wohngemeinschaft. Die Aufträge hätten sich so ergeben, sagt sie. Das habe sie auch darin bestärkt, nach den vielen Bandprojekten nun eigene Wege zu gehen.
«Weil plötzlich so vieles zurückkam», sagt sie. «Weil die Leute auf mich reagierten. Für die meisten Bandalben bin ich ja auch Kompromisse eingegangen. Jetzt möchte ich ganz zu mir stehen. Auch musikalisch.» Deshalb gibt es Rea Dubach nur noch in der Jazz-Rock-Formation Omni Selassi zu hören, mit der sie sich das geliebte Bandgefühl aufrechterhält.
«Wenn ich mit Leuten zusammenarbeite, wünsche ich mir, dass, wenn wir einen Monat auf Tour gehen, alle voll mitziehen», sagt sie. «Sonst braucht ich keine Band mehr.» Ansonsten will sie sich auf ihre Soloprojekte konzentrieren.
Die Verständigung
Das Soloalbum ist eine Selbstbefragung geworden, wie sie sagt, während sich im Atelier das Grau in ein Blau wandelt. Eine Verortung. Und der hohe Norden war es, wo sie hinmusste, um Antworten zu finden. Einst war es Irland, später Skandinavien und zuletzt Island. Immer wieder Island. Dorthin, in ein kleines Fischerdorf, reiste sie, uman ihrem Soloprojekt zu arbeiten. Drei Monate lang.
In der Einsamkeit suchte sie ihren Platz. Ihre Stimme. Merkte: In einer Welt, in der alles verbunden ist, tragen alle Verantwortung, und Verständigung ist das wichtigste Gut. «In meinem Universum ist nichts separiert. Diese Verbundenheit ist mein Thema», sagt sie.
Sie spricht davon, wie sie versuchte, in der Abgeschiedenheit sich selber auszuhalten, und wie immer wieder die wilde Natur des Nordens als Inspiration diente. «Die Natur zeigte mir, dass alles verbunden ist. Ich dachte dabei an all die kreativen Menschen in der Welt und wie verbunden wir doch sind», sagt sie. «Wir vibrieren alle. Alles leuchtet.»
Inzwischen ist es Abend geworden. Es fühle sich wie ein Anfang an, sagt sie. Sie habe gemerkt, dass jetzt ein neuer Abschnitt beginne, sie sich jetzt fokussieren und neue Wege finden müsse. Rea Dubach macht filigrane Musik. Ihre Auftritte sind nicht wohlwollend, nicht einfach zugänglich. Man muss sich darauf einlassen.
Das Frontale eines Konzerts passe da nicht, sagt sie. «Es liegt in meiner Verantwortung, den Menschen zu zeigen, auf was sie sich einlassen.» Am Saint Ghetto wird das der Fall sein. Sie wird im Turbinensaal spielen – ohne übliche Konzertsituation. Ohne Bühnenlicht.
Konzert: 21.11., 20 Uhr, Saint Ghetto, Dampfzentrale, Bern.
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