Neuer künstlerischer LeiterAlexander Kratzers Spagat im Effinger-Theater
Neues wagen, ohne das Publikum zu vergraulen: Alexander Kratzer tritt ein nicht ganz einfaches Erbe an. Denn seine Vorgänger waren unglaublich erfolgreich.

Fast jährlich steigende Auslastung, eine Publikumstreue wie von einem anderen Stern: Die Ära der Theatergründer Ernst Gosteli und Markus Keller war unglaublich erfolgreich. Die beiden sind noch immer Besitzer des Theaters an der Effingerstrasse. Doch Ernst Gosteli hat sich bereits vor fünf Jahren aus der Leitung zurückgezogen, er sitzt nur noch an der Kasse. Und auf diese Saison hat Markus Keller die künstlerische Leitung an Alexander Kratzer übergeben.
Der Laden läuft so gut – da kann der Neue doch eigentlich nur verlieren. Nicht? Wir treffen Alexander Kratzer in der Berner Altstadt zum Kaffee. «Nein», sagt er, «ich will ja nicht alles umkrempeln.» Die Abonnentinnen und Abonnenten sollen ihr Theater auch in dieser Spielzeit wiedererkennen. Ein paar Dinge neu machen will er schon. Das deutet der frische optische Auftritt an. Im Schriftzug des sperrigen Theaternamens ist «Theater Effinger» halbfett hervorgehoben. Das könne man als Annäherung an den griffigeren Namen verstehen, sagt der neue Leiter.
«Ich vertraue auf die Qualität der Texte»
Regisseur Kratzer, der derzeit eine Weiterbildung in Kulturmanagement abschliesst, kennt das Haus und seine Philosophie gut. Er inszeniert seit 10 Jahren regelmässig an der Effingerstrasse. Und das wird er auch weiterhin. Doch anders als Markus Keller will er nicht auf die immer gleichen Regisseure der letzten Jahre bauen. Kratzer hat für die neue Spielzeit neue Regieteams eingeladen. Beibehalten will er hingegen das Prinzip, dass am Theater auf Regietheater verzichtet wird. Also auf Zugänge, die die Regie über den Text stellen. «Ich vertraue auf die Qualität der Texte, also arbeiten wir auch mit den Texten», sagt er.
Was der 49-jährige Innsbrucker hingegen weniger oft programmieren will, sind Adaptionen von Bestsellerliteratur und Blockbusterfilmen wie «Einer flog über das Kuckucksnest», das in der vergangenen Spielzeit auf dem Programm stand. «Man merkt den Stücken schon an, dass sie nicht für die Bühne geschrieben wurden», sagt Kratzer. Sein Herz schlage für die echten dramaturgischen Texte, die mit mehr Tiefe ausgestattet seien.
Kratzer startet mit Shakespeare
Nachdem er die Saison auf der Gasse starten lässt (siehe Box), führt der künstlerische Leiter gleich in der ersten Produktion im Theatersaal selbst Regie: «Der Sturm» von William Shakespeare. Shakespeare auf der kleinen Effinger-Bühne? «Die Fassung von Joachim Lux reduziert die Handlung auf die wesentlichen Personen – und ist trotzdem textnah», sagt Kratzer. «Shakespeare ist und bleibt für mich einer der besten Geschichtenerzähler.»
Die guten Geschichten sollen weiterhin an der Effingerstrasse gespielt werden. Mit dem frischen Wind des neuen Leiters. Bleibt die Frage, wie sehr der Neue den kühlen Luftzug der Erwartungen im Nacken spüre – von der alten Garde, die noch immer durchs Haus geistert. «Den gibt es, ja, aber ich spüre vielmehr die Wärme des Vertrauens», sagt Kratzer.
Vielleicht ist das Corona-Jahr gar nicht der schlechteste Zeitpunkt für diesen Wechsel. Allfällige Zurückhaltung des zahlenden Publikums liesse sich doch bestens auf Ängste vor vollen Sälen und Maskenphobien abschieben. Alexander Kratzer winkt ab. «Ich hätte sehr gerne in einer normalen Situation gestartet», sagt er. Wegen der Ungewissheit, wie es im Theater weitergeht, musste er ein fertig geplantes Programm nochmals umkrempeln.
Die Zeit des Lockdown verbrachte er in Südtirol. Seine Frau Irene Girkinger ist Intendantin der Vereinigten Bühnen Bozen, die seit Jahren mit dem Theater an der Effingerstrasse kooperieren. Die Vorbereitung auf seine erste Spielzeit gestaltete sich kompliziert. Obwohl Südtirol weit weniger betroffen war als die Lombardei, konnte er kaum aus dem Haus. «Wir gingen sogar mit Maske Rad fahren.»
Unter diesen Umständen hat er keine Angst davor, dass sich die Menschen auch im Theater an die Maske gewöhnen. Dass sie sich auch an «sein» Theater gewöhnen, bezweifelt er genauso wenig.
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