Afghanistan sucht neue Verbündete
Der afghanische Präsident Hamid Karzai hat Angst, dass ihn die USA im Stich lassen. Deshalb setzt er auf das Nachbarland Pakistan – ein gefährliches Spiel.

Der Krieg in Afghanistan geht am Donnerstag ins zehnte Jahr, und die Schlüsselfiguren lassen sich nicht in die Karten sehen. Wer weiss schon, ob die Amerikaner länger bleiben, sich schleunigst aus diesem Krieg zurückziehen oder einen Mittelweg einschlagen werden. In der Befürchtung, dass seine westlichen Verbündeten ihn letztlich im Stich lassen werden, poliert der afghanische Präsident Hamid Karzai die Beziehungen zu Pakistan auf und reicht gesprächsbereiten Aufständischen die Hand zur Versöhnung.
Nachbar Pakistan sagt den Rebellen den Kampf an, duldet aber immer noch Kämpfer der al-Qaida und der afghanischen Taliban auf seinem Boden. Es gab schon andere kritische Momente. Doch dieser neunte Jahrestag läutet die entscheidende Runde ein: Alles auf eine Karte in Afghanistan.
Kanadier wollen Truppen abziehen
In den USA wie in Westeuropa wird der Krieg zunehmend unpopulär. Die Niederlande haben bereits ihre Soldaten abgezogen, die Kanadier sind die nächsten. Auch den Afghanen geht allmählich die Geduld aus. Viele fragen sich, warum sich ihr Lebensstandard nicht merklich gebessert hat, wenn Afghanistan doch in Milliarden an Hilfsgeldern schwimmt. «Die Nato ist hier, und sie sagen, sie bekämpfen den Terrorismus, und das ist das zehnte Jahr, und es gibt noch kein Ergebnis», platzte Karzai vorige Woche in einer gefühlsbeladenen Rede heraus. «Unsere Söhne können nicht zur Schule gehen, wegen Bomben und Selbstmordanschlägen.»
Welcher Unterschied zu der breiten Unterstützung für die Bush-Regierung, als die Amerikaner am 7. Oktober 2001 losschlugen. Ziel war der Sturz der Taliban, die ihre schützende Hand über Osama bin Laden und andere Hintermänner der Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon knapp einen Monat zuvor hielten. Das Islamisten-Regime war binnen zwei Monaten am Ende. Doch rückblickend gesehen, fehlte es von Anfang an an Mitteln. Als sich die US-Regierung 2003 auf den Irak konzentrierte, begannen die Taliban sich wieder zu sortieren. Nach einigen Jahren relativer Ruhe und Sicherheit verschlechterte sich die Lage um 2006 wieder. Seitdem sind die Taliban immer stärker geworden. Und Bin Laden lebt immer noch.
2000 Nato-Soldaten sind bisher gefallen
Unter Präsident Barack Obama sandten die USA dieses Jahr weitere zehntausende Soldaten nach Afghanistan. Die Verluste sind höher denn je. Rund 2000 Nato-Soldaten sind bisher gefallen. Bis Ende des Jahres müssten die USA und ihre Partner Fortschritte vorweisen, wenn die Unterstützung der Öffentlichkeit für diesen Krieg nicht weiter schwinden solle, mahnte Verteidigungsminister Robert Gates im Juni.
Frust herrscht auch im Weissen Haus und im Kongress. Nach einem Kabul-Besuch erklärte der Vorsitzende des aussenpolitischen Senatsausschusses, John Kerry, wenn die Regierung Karzai nicht bald mit der Korruption aufräume, werde es schwer werden, «amerikanischen Familien ins Gesicht zu sehen und zu sagen: Dafür lohnt es sich zu sterben».
Unkenrufe und Fortschrittsmeldungen
Auf dem Schlachtfeld setzt der NATO-Oberbefehlshaber in Afghanistan, General David Petraeus, auf die Strategie, dicht besiedelte Gebiete zu schützen, die Taliban aus ihren Nestern zu vertreiben und schleunigst für bessere Regierungsführung und Entwicklungshilfe zu sorgen. Der Krieg sei nur zu gewinnen, wenn die Zivilbevölkerung die Soldaten unterstütze, meinen Militärs. Das werde aber nur gelingen, wenn sich die Leute sicher genug fühlten, sich aus der Angst vor den Taliban und ihren Drohungen zu lösen.
Unkenrufen, der Krieg sei verloren, hält der Nato-Oberbefehlshaber in Europa, Admiral James Stavridis, eine Liste mit fast 50 Beispielen für Fortschritte entgegen: Getötete und gefangen genommene Taliban, beschlagnahmtes Bombenmaterial, wiedereröffnete Schulen und Polizeiwachen, mehr einheimische Sicherheitskräfte. «Afghanistan bleibt ein harter Kampf, aber mindestens drei Viertel des Landes sind entweder in halbwegs vielversprechendem Zustand oder bessern sich», sagt Michael O'Hanlon von der Denkfabrik Brookings Institution. «Wir sollten vorerst zuversichtlich bleiben. Die jetzige Strategie könnte sehr wohl binnen einiger Monate zu bedeutenden und überzeugenden Fortschritten führen.»
Demokratie in weiter Ferne
Von der Einführung einer Demokratie nach westlichem Muster spricht ohnehin kaum noch jemand. Ziel scheint jetzt eher zu sein, Al-Kaida hinauszudrängen – selbst wenn es dazu eines Deals mit Taliban-Führern bedarf. Stephen Biddle vom Council on Foreign Relations findet, die US-Regierung müsse klar machen, wie das Endspiel aussehen solle. «Ohne eindeutige Definition eines annehmbaren Ergebnisses wird der Militäreinsatz von USA und Nato steuerungslos sein, ebenso wie jegliche Verhandlungsstrategie für eine Vereinbarung mit den Taliban.» Erfolg in Afghanistan würde für ihn bedeuten, «zu einem Zwischen-Endstand zu gelangen - irgendwo zwischen ideal und untragbar».
dapd/miw
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch