Adieu, «Prinzessin von Muri»
Die Künstlerin Lilly Keller war mittendrin, als Bern um die Kunsthalle Nabel der Kunstwelt war. Nun ist die unterschätzte Einzelgängerin 88-jährig gestorben.

Jean Tinguely, Daniel Spoerri, Meret Oppenheim, Sam Francis – die Namen ihrer Freunde von damals klingen nach, ihrer ist nur unter Kennern ein Begriff. Lilly Keller war in illustrer Gesellschaft, als in den 60er-Jahren um Harald Szeemann die Berner Kunsthalle erblühte.
Der Berner Journalist und Autor Fredi Lerch hat Lilly Keller für seine 2015 erschienene Biografie gut vierzigmal besucht, auf dem Mont Vully, wo sie mit ihrem Mann, dem Künstler Toni Grieb (1918–2008), hingezogen war.
Sie lebte zurückgezogen in einem märchenhaften Park mit hundert Bambusarten. Auf die wilden 50er- und 60er-Jahre blickte Keller mit gemischten Gefühlen zurück: «Es war keine Kunstwelt, sondern eine Künstlerwelt.» Für Frauen war es schwierig, sich zu behaupten, auch wenn sie unabhängige Einzelkämpferinnen waren wie Lilly Keller.
In der Berner Boheme
Keller wuchs gutbürgerlich in Muri bei Bern auf, als Tochter eines Bundesbeamten. Deshalb wurde sie später «die Prinzessin von Muri» genannt. Nach ihrer Ausbildung an der Kunstgewerbeschule Zürich gehörte Keller zur Berner Boheme, die sich im Café Commerce traf. Zu ihren Freundinnen gehörten Meret Oppenheim – und zu den Liebhabern der bildschönen und bis ins hohe Alter yogajungen Frau zählten die prominentesten Namen der Kunstszene.
Ein Angebot von Jean Tinguely, eine künstlerische wie private Beziehung einzugehen, schlug sie Ende der 50er-Jahre aus. Eben erst hatte sie sich von Tänzer und Künstler Daniel Spoerri getrennt, weil sie ihm nicht nach Darmstadt folgen wollte, wo er eine Stelle am Landestheater antrat.
Keller wollte mehr sein als eine Muse. Erfolge feierte sie mit farbigen Tapisserien, die allerdings als «typische Frauenkunst» herabgewürdigt wurden. Der Durchbruch gelang ihr nie richtig. Biograf Fredi Lerch glaubt, dass sie vom Kunstbetrieb «unter Wert geschlagen» worden sei.
Frau der vielen Materialien
Lilly Keller schuf in fast 70 Jahren künstlerischer Tätigkeit Gemälde, Bildteppiche, Skulpturen und Installationen. Vielleicht ist die Tatsache, dass sie sich kaum auf einen Stil festlegen liess, der Grund, weshalb sie die internationale Bedeutung ihrer Weggefährten der wilden 60er nie erlangte. Ein anderer ist sicher, dass sie ihr Schaffen für sich zurückhielt. Selbst bezeichnete sie 70 selbst gefertigte Buchbände mit ihren künstlerischen Experimenten als ihr Hauptwerk – das weder verkäuflich war noch je ausgestellt wurde.
Kellers ungestümes Leben erzählt indes nicht nur Geschichte über die Kunst, sondern auch über eine Gesellschaft im Umbruch. In diesem Umbruch war die Berner Kunsthalle immerhin ein Riss im Tonkrug. Mittendrin Lilly Keller. Eine unabhängige Frau in einer Männerwelt.
Am Dienstag fand eine Nachbarin die knapp 89-Jährige leblos in ihrem Haus in Thusis, wie Fredi Lerch im Onlinemagazin «Journal B» schreibt. Lilly Kellers Tod kam plötzlich. Noch vor wenigen Tagen hat sie in Thusis, wo sie seit ein paar Jahren gewohnt hatte, ihr Auto auf seine Wintertauglichkeit getestet.
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