
Mögen Sie Ronaldo?
Die einen lieben ihn, die anderen hassen ihn: Cristiano Ronaldo polarisiert, das ist klar. Die Sportredaktoren Fabian Ruch und Dominic Wuilllemin nehmen Stellung.
Ohne restlos zu überzeugen, steht Cristiano Ronaldo mit Portugal im EM-Viertelfinal. Am Donnerstag geht es in Marseille gegen den Schweiz-Bezwinger Polen. Und Ronaldo weiss um die günstige Ausgangslage seines Teams.
Er polarisiert wie kein zweiter Fussballer:?Die einen lieben Cristiano Ronaldo wegen seiner unbestrittenen Klasse, die anderen finden seine Posen einfach nur lächerlich.
(Bild: Keystone)
Mittlerweile ist es ja fast wieder schick, Cristiano Ronaldo zu mögen. Der arme Kerl wird derart angefeindet. Es ist eine Mischung aus Neid und Ärger, Hass und Belustigung, die Ronaldo allenthalben entgegenschlägt. Weil er erfolgreich ist und egoistisch, hervorragend aussieht, einen schwer nachvollzieren Körperkult betreibt, lächerliche Posen präsentiert, sich manchmal wie ein kleiner Bub verhält und ein richtig mieser Verlierer ist.
Ungefähr so. Er ist aber auch der am besten bezahlte Sportler der Welt und der global gesehen beliebteste Athlet. Schier jede Kleinigkeit bei ihm wird im Internet hunderttausendfach bewertet. Wenn er einem kleinen Balljungen über den Kopf streichelt. Wenn er die Rechnung für die Operation eines krebskranken Kindes in Asien übernimmt.
Und wenn er mit einem Isländer nach dem Gruppenspiel (1:1) diskutiert, heisst es gleich, der arrogante Schönling habe sich geweigert, das Trikot zu tauschen. Dabei erklärte er nur, er werde ihm sein Shirt in der Kabine geben.
Es ist nicht einfach, Cristiano Ronaldo zu sein.
Topskorer des Turniers
Der 31-Jährige wird strenger bewertet als andere. Damit kann der Portugiese umgehen. Er hat mit Abstand die meisten Schüsse abgegeben (der Missgünstige sagt: er denkt nur an sich!), macht kaum einen Fehler, zelebrierte gegen Ungarn (3:3) eine Gala mit einem Hackentraumtor, und doch heisst es, es sei bisher nicht das Turnier von CR7 gewesen. Dabei haben nur Gareth Bale und Eden Hazard bisher ebenfalls vier Skorerpunkte realisiert. Doch zwei Tore in vier Auftritten sind unter Ronaldos Schnitt.
Von Ronaldo erwartet man immer noch mehr. Während der für Portugal sehr heiklen Vorrunde sagte er einmal, es gehe nicht darum, bereits in Topform zu sein. «Wir können und müssen uns steigern. Das gilt auch für mich.»
Und heute Donnerstag kommt bereits der Viertelfinal gegen Polen. Noch weiss man nicht genau, was man von Ronaldo an dieser Euro halten soll. Gegen Kroatien zuletzt agierten die Portugiesen defensiv, Trainer Fernando Santos lobte, Ronaldo habe sich in den Dienst der Mannschaft gestellt. «Er ist nicht so, wie viele denken. Er trägt unseren Plan mit.»
Aufstellung Polen gegen Portugal
Destruktiv gegen Kroatien
Fast 120 Minuten lang wartete man im Achtelfinal auf den Ronaldo-Moment. Und dann kam er, kurz vor Ende der Verlängerung gegen Kroatien. Zwar scheiterte der Superstar am Torhüter, doch Ricardo Quaresma verwandelte den Abpraller zum 1:0-Siegestor. Die Portugiesen hatten gegen die in den Vorrunde so überzeugenden Kroaten erstaunlich destruktiv gespielt, ganz anders, als es ihrer Philosophie entspricht, mit Manndeckung auf die formidablen Luka Modric und Ivan Rakitic beispielsweise.
Es war, als sei Otto Rehhagel Trainer Portugals. Der deutsche Altmeister des Mauerfussballs hatte Portugal 2004 an der Euro mit Griechenland im Eröffnungsspiel und im Final bezwungen. Seit dieser Heim-EM vor zwölf Jahren läuft Ronaldo einem Titel mit dem Nationalteam hinterher.
Anfeindungen gewohnt
Noch hat Portugal an dieser Euro nach 90 Minuten kein Spiel gewonnen. Vielleicht auch deshalb sagt Ronaldo vor dem Viertelfinal in Marseille gegen Polen, man müsse bescheiden auftreten. «Aber wir haben Qualitäten. Und wir haben gegen Kroatien bewiesen, dass wir defensiv stark sein können. Das war wichtig nach den drei Gegentoren gegen Ungarn.»
In der Abwehr Portugals ist Pepe, Ronaldos Teamkollege bei Champions-League-Sieger Real Madrid, der wichtigste Einzelspieler. Der Routinier hält die Verteidigung zusammen, er klärt mal rustikal und mal spektakulär, und er wird wegen seiner harten und gleichzeitig theatralischen Spielweise von vielen verachtet.
Ronaldo und Pepe sind sich Anfeindungen seit vielen Jahren gewohnt. Sie sind in Frankreich auf einer Mission, der rote Teppich in den Final ist ausgelegt. «Wir haben eine interessante Ausgangslage», sagt Ronaldo, «aber das hat Polen auch.»
Bedauern wegen Messi
In Portugal rückt gerade eine talentierte Generation um Renato Sanches (18) nach. Selbst wenn Ronaldo an dieser EM wieder scheitert, wird er kaum abtreten. So zumindest sind die Worte zu interpretieren, die er nach dem überraschenden Rücktritt von Rivale Lionel Messi aus Argentiniens Nationalteam vor zwei Tagen äusserte.
«Messi hat eine harte Entscheidung getroffen, die man akzeptieren muss. Es hat mich traurig gemacht, ihn weinen zu sehen. Ich hoffe, er kehrt irgendwann in Argentiniens Auswahl zurück. Sie braucht ihn.» Messi sei zweite Plätze und Niederlagen nicht gewohnt, erklärte der Portugiese, «und er wird in Argentinien immer für alles verantwortlich gemacht».
Dieses Gefühl kennt er selber bestens. Aber Ronaldo meint, der Unterschied sei, «dass Portugal nie Turnierfavorit ist». So spricht einer, der nicht noch mehr Druck aufbauen will. Auch Ronaldo weiss: Ihm bietet sich in den nächsten Tagen die Gelegenheit seines Lebens mit Portugal.
Cristiano Ronaldo ist mal wieder auf Rekordjagd. Er wurde an dieser EM Portugals Rekordnationalspieler, das 131. Länderspiel folgt heute Donnerstag. Der 31-Jährige ist seit wenigen Tagen jener Fussballer mit den meisten EM-Spielen (18). Er ist der einzige Spieler, der an vier verschiedenen Turnieren getroffen hat. Er hat sich als bester Skorer der Eurogeschichte profiliert (12 Punkte). Und er liegt noch ein Tor hinter Michel Platini, mit 9 Treffern erfolgreichster EM-Torschütze. Vor allem aber ist Ronaldo der beste europäische Fussballer, der nie Europameister wurde. 2004, als 19-jähriges Supertalent, bestritt der Flügelspieler die Heim-EM noch zusammen mit der Generation um den legendären Luis Figo. Nach der 1:2-Niederlage im Startspiel gegen Griechenland steigerten sich die Gastgeber, erreichten auch dank zwei Toren von Ronaldo das Endspiel – wo sie erneut gegen die Griechen verloren (0:1).Ronaldo weinte bittere Tränen.
Vier Jahre später, an der Euro in der Schweiz und Österreich, war Ronaldo angeschlagen. Er schoss nur ein Tor und scheiterte mit Portugal im unterhaltsamen Viertelfinal in Basel an Deutschland (2:3). Und 2012 schliesslich, in Polen und der Ukraine, führte er sein Land in den Halbfinal, erzielte dabei drei Treffer, war am Ende aber der grosse Verlierer.
Im Halbfinal gegen Spanien bot sich ihm in der 90. Minute die grosse Chance zum Sieg, doch er verzog seinen Abschluss. Nach ebenfalls torloser Verlängerung kam es zum Elfmeterschiessen. Ronaldo war als fünfter Schütze vorgesehen. Doch so weit kam es gar nicht, weil zwei Mitspieler zuvor verschossen hatten. (fdr)
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