1100 Nachbeben in Italien halten Bevölkerung in Angst
Die Erde in Italien kommt nicht zur Ruhe: Ein weiteres starkes Nachbeben hat die ohnehin verwüstete Region erschüttert. Die Beben bedrohen die Existenz Tausender Menschen.
Am Dienstagmorgen wurde ein Nachbeben mit der Stärke 4,8 gemeldet, das in den Regionen Marken und Umbrien und sogar bis nach Rom zu spüren war. Seit Sonntag wurden insgesamt 1100 Nachbeben gezählt. Das neuerliche Beben sorgte für Angst unter der Bevölkerung, die die Nacht zum grossen Teil in Zelten, Notunterkünften oder im Auto verbracht hatte.
«Ein Erdbeben ohne Ende. Die Bevölkerung erlebt einen endlosen Kreuzweg», kommentierten italienische Medien. Das Epizentrum lag zwischen den Gemeinden Acquacanina, Fiastra und Bolognola in der Marken-Provinz Macerata. «Es war ein weiteres schweres Erdbeben, wir sehen Staubwolken, weil es zu weiteren Einstürzen gekommen ist», kommentierte der Bürgermeister der bereits zerstörten Gemeinde Ussita, Marco Rinaldi.
Tausende obdachlos
Mehr als 15'000 Menschen seien in den Unterkünften des Zivilschutzes versorgt worden, teilte die Behörde am Dienstag mit. Die Zahl der Obdachlosen wird aber weit höher geschätzt. Einige von ihnen hatten die Nacht in einem Zug verbracht, den die Bahngesellschaft Trenitalia in den Städten Foligno und Fabriano zur Verfügung gestellt hatte.
Ministerpräsident Matteo Renzi sagte den Zehntausenden Obdachlosen schnelle Hilfe und einen kompletten Wiederaufbau zu. 40 Millionen Euro stellte der Ministerrat am Montagabend für Soforthilfe nach dem neuen Erdbeben am Sonntag zur Verfügung. Damit steigt der Betrag für das Erdbebengebiet in Mittelitalien, den die Regierung seit dem Erdbeben am 24. August mit Epizentrum Amatrice bereitgestellt hat, auf 130 Millionen Euro.
«Kein einziger Cent wird verschwendet»
Renzi erklärte, der am Dienstag die vom Erdbeben am Sonntag stark betroffene Gemeinde Preci in Umbrien besuchte, sagte, er erwarte sich von Brüssel eine Auflockerung der Defizitregel, da Italien für den Wiederaufbau in der Erdbebenregion mehrere Milliarden Euro aufbringen müsse. Italien zählt mit einer Staatsschuld von über 130 Prozent zu den Sorgenkindern der EU.
Zugleich versprach Renzi volle Transparenz beim Wiederaufbau. «Kein einziger Cent wird verschwendet», erklärte er. Staatspräsident Sergio Mattarella will am Mittwoch ins Erdbebengebiet reisen.
Putin bietet Renzi Hilfe an
Unterstützung wurde Renzi derweil vom russischen Präsidenten Wladimir Putin angeboten. In einem Telefongespräch mit dem italienischen Premier Matteo Renzi drückte Putin am Dienstag seine Anteilnahme aus und bestätigte Russlands Bereitschaft zur Hilfeleistung, wie Renzis Büro berichtete.
Viele Einwohner der umbrischen Kleinstadt Norcia weigerten sich derweil, den zerstörten Stadtkern zu verlassen. Sie forderten vom Zivilschutz Zelte an, um in der Gemeinde übernachten zu können. Die Regierung drängt dagegen, dass die Obdachlosen leere Hotels an der Adria-Küste beziehen. Nach Angaben der Zivilschutzbehörde wurden mehr als 4500 Menschen in Hotels an der Adria und am Trasimeno-See in Umbrien untergebracht.
Heftigstes Beben seit 36 Jahren
«Der Tourismus ist in Norcia zu Ende. Zwei unserer Hotels sind zerstört, weitere zwei im Stadtzentrum werden für die nächsten zehn Jahre nicht mehr zugänglich sein», sagte Vincenzo Bianconi, Präsident der Hoteliers von Norcia. Trotz der schweren Schäden will Bianconi nicht aufgeben. «Wir hegen neue Projekte, wir wollen von der Landwirtschaft her neu beginnen», sagte Bianconi.
Die Erdbeben bedrohen nach Branchenangaben tausende Bauern in ihrer Existenz. Rund 3000 landwirtschaftliche Betriebe seien betroffen, erklärte die grösste italienische Bauernvereinigung Coldiretti am Dienstag. In der Region wird vor allem Viehzucht betrieben; die schwer getroffene Kleinstadt Norcia ist bekannt für ihre Salami- und Schinkenproduktion.
Laut Coldiretti leiden rund 100'000 Kühe, Schweine und Schafe unter den Folgen des Bebens. Viele Bauern hätten Probleme, genügend Wasser und Futter für ihre Tiere zu finden. Oftmals weigerten sich die Landwirte, ihr Vieh zurückzulassen. Auch sei es für die Bauern schwierig, ihre Produkte auszuliefern, da viele Strassen in der Region schwer beschädigt worden seien, beklagte Coldiretti.
Zahlreiche Kulturgüter zerstört
Das Beben am Sonntag – das heftigste in Italien seit 36 Jahren – hatte historische Ortschaften in der Apennin-Gebirgsregion zerstört. Tote gab es nicht – auch, weil viele Orte schon nach dem schweren Beben im August, bei dem 298 Menschen umkamen, geräumt worden waren. Das Beben der Stärke 6,5 hatte am Sonntag historische Ortschaften zerstört. Dabei wurden auch Kulturgüter wie zum Beispiel die Basilika des Heiligen Benedikt in Norcia schwer beschädigt.
Selbst im rund 110 Kilometer Luftlinie entfernten Rom entstanden Schäden. Die historische Brücke Ponte Mazzini über den Tiber, die Trastevere mit dem historischen Zentrum verbindet, wurde vorübergehend gesperrt. Auch die Papst-Basilika Sankt Paul vor den Mauern (San Paolo fuori le Mura) untersuchten Experten auf mögliche Schäden.
Zwei Kirchen im Stadtzentrum wurden gesperrt: die Kirche San Francesco im Stadtviertel Monti und die Kirche am Platz Sant'Eustachio, der bei Touristen beliebt ist. Schulen und Kindergärten in der italienischen Hauptstadt sollen auf Schäden geprüft und bis dahin geschlossen bleiben.
Erde 70 Zentimeter gesenkt
Laut Erdbebenwarte hat sich die Erde bei dem Beben am Sonntag – dem stärksten seit 36 Jahren – auf einer Fläche von 130 Quadratkilometern deformiert, die grösste Verschiebung wurde mit 70 Zentimetern in der Gegend um das Dorf Castelluccio an der Grenze von Umbrien zu den Marken festgestellt.
Besorgniserregend ist die Lage am Fluss Nera, der durch das Valnerina-Tal in der Region Marken fliesst. Wegen Erdrutschen infolge des Erdbebens seien Felsen ins Wasser des Flusses gelangt. Die Gefahr von Überschwemmungen sei konkret, sagte Marco Mancini vom Institut für Umweltgeologie. Am kommenden Wochenende wird in der Region mit starken Niederschlägen gerechnet.
SDA/bee
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